Der Stutthof-Überlebende Marek Dunin-Wasowicz, 93 Jahre, Journalist aus Warschau, sagt als Zeuge aus. Seine Aussagen werden von einer Dolmetscherin übersetzt.
Marek Dunin-Wasowicz schilderte zunächst sein Leben unter der deutschen Besatzung. Seine ganze Familie war mit Beginn des deutschen Überfalls im Widerstand aktiv. Marek leistete in den ersten zwei Jahren vor allem „Kleinsabotage“: Er zerstörte deutsche Plakate und Bekanntmachungen, schrieb Parolen an Wände und beobachtete militärische Operationen der Deutschen. Sein Bruder war Soldat in der polnischen Armee. Mareks Vater war Journalist und setzte seine Tätigkeit im Untergrund fort. Er arbeitete nicht mit den Deutschen zusammen und unterstützte jüdische Freunde. Seine Mutter leitete Geld für Untergetauchte weiter. Sie wurde von Verrätern erpresst und sollte das Geld abgeben, andernfalls werde sie bei der Gestapo verraten. Mareks Vater gründete mit einem Kollegen ein Antiquariat, um Geld aus London weiterleiten zu können. Dort druckten sie auch Flugblätter und Zeitungen. Der Vater wurde als erster verhaftet, zunächst aber wieder frei gelassen. Später wurde die ganze Familie verhaftet und zum Gestapo-Sitz in der Aleja Szucha gebracht. Mareks Bruder wurde dort eine Woche brutal gefoltert, er wurde die Treppe an den Beinen rauf und runter gezogen.
Marek kam dann mit seinem Vater und seiner Mutter in das Pawiak-Gefägnis. Sein Bruder wurde eine Woche später dorthin verlegt. Bis zum 25.5.1944 war er im Pawiak inhaftiert. Jeden Morgen wurden Häftlinge aus den Zellen gezogen und erschossen. In den Zellen zählten die Häftlinge die Salven der Schüsse. Es herrschten unmenschliche und unglaubliche Bedingungen. Die Häftlinge spielten Schach mit Figuren aus Brot, die sie mit ihrem Speichel formten. In den Zellen mussten sie auf dem Boden schlafen. Konspirative Hilfe erhielten die Häftlinge v.a. durch Ärzte, so konnte auch seine Familie überleben. Marek wurde zunächst für eine Deportation nach Groß-Rosen bestimmt, aber durch die Hilfe von Häftlingen in der Schreibstube auf die Liste nach Stutthof gesetzt. Sein Bruder wartete im Pawiak auf die Vollstreckung des Todesurteils, aber die Geheimorganisation im Pawiak konnte den Namen des Bruders ebenfalls auf die Liste nach Stutthof setzen. Seine Eltern wurden von den Ärzten als schwer krank eingestuft, ins Krankenhaus verlegt und einen Tag vor Beginn des Warschauer Aufstands entlassen. Marek betonte, dass die Menschen im Pawiak entweder erschossen oder von dort in andere Lager deportiert wurden.
Dann kam Marek auf Stutthof zu sprechen. Zunächst trug er allgemeine Fakten über das Lager vor. Die Richterin wies ihn darauf hin, dass es wichtig sei, dass er zwischen seinen eigenen Erinnerungen und später hinzugekommenem Wissen unterscheide. Marek berichtete, dass er im Lager eng mit seinem Bruder verbunden war, der während dieser Zeit für ihn wie ein Vater war. Sein Bruder war im Lager in konspirative Tätigkeiten eingebunden, er selbst aber nicht. Marek musste im Lager zunächst als Schuster arbeiten. Die Arbeit fand in einem Gebäude statt und er empfand sie als verhältnismäßig leicht. Danach wurde er in die Waldkolonne versetzt, wo er Bäume fällen und Wurzeln ausreißen musste. Das war für ihn die härteste Arbeit. Sie wurden von Kapos zur Arbeit gedrängt, während die SS alles beaufsichtigte und zufrieden zusah, wie die Häftlinge von den Kapos malträtiert wurden. An einem Sonntagnachmittag, der für die Häftlinge frei war, traf er einen Kollegen aus dem Pawiak, der im Krankenhaus des Lagers als Arzt tätig war. Dieser bot ihm seine Hilfe an und riet ihm ins Krankenhaus zu kommen. Daraufhin ließ sich Marek beim Waldkommando einen Baumstamm auf den Fuß fallen. Mit zwei zerquetschten Zehen wurde er in das Krankenhaus verlegt. Dort wurden die Häftlinge von einer Gruppe norwegischer Polizisten, die als Sonderhäftlinge im Lager waren, täglich mit Suppe versorgt. Um seinen Aufenthalt im Krankenhaus zu verlängern, wurde seine Wunde vor der Visite eines SS-Arztes drei Wochen lang immer wieder aufgerissen, bis der Häftlingsarzt ihm nicht mehr helfen konnte. Marek kam zurück ins Lager.
Marek berichtete nun über den Ausbruch einer Typhusepidemie. Die Deutschen hatten große Angst sich anzustecken und richteten eine Sonderbaracke eine, in die alle Häftlinge kamen, die in Kontakt mit den Deutschen standen. Sein Bruder, der in der Schreibstube eingesetzt war, nutzte seine Kontakte und holte auch Marek in diese Baracke. Dort lebten die beiden bis zur Evakuierung des Lagers. Die Sitzung wurde für 30 Minuten unterbrochen.
Die Richterin setzte bei der Typhusepidemie wieder ein. Marek berichtete, dass die Epidemie Ende 1944 ausbrach und lediglich die Häftlinge geimpft wurden, die mit den Deutschen in Kontakt standen. Die Richterin fragte nun konkreter nach dem Alltag im Lager. Marek erklärte, dass jeder Tag anders gewesen sei. Zählappelle waren selten, dafür wurden Appelle bei jeder anderen Gelegenheit abgehalten. Bei Fluchten mussten die Häftlinge die ganze Nacht, bei jedem Wetter und ohne Möglichkeit sich zu bewegen stehen, bis die Geflohenen wieder gefasst waren. Auch bei Exekutionen und Auspeitschungen wurden Appelle abgehalten. Bei Letzterem verkündete ein SS-Mann den Grund der Strafe, die dann von einem Kapo mit einem Ochsenziemer vollstreckt wurde. Die Auspeitschungen wurden immer am Haupttor durchgeführt. Mehr als 30 Hiebe hielt ein Häftling nicht aus. Marek erinnerte sich auch an die Erhängung von zwei jungen Russen. Einer von ihnen rief den angetretenen Häftlingen vom Galgen zu: „Brüder, macht euch keine Sorgen, bald kommt die russische Armee und wird uns rächen.“ Bei einer Erhängung riss der Strick dreimal. Nach dem dritten Mal erschoss ein SS-Mann den Häftling. Die Erhängungen wurden immer in der Mitte des Neuen Lagers durchgeführt. Die Häftlinge hatten Hunger und froren. In der Sonderbaracke waren die Bedingungen etwas besser. Alles war davon abhängig, ob man etwas „organisieren“ konnte, wie z.B. feste Schuhe, warme Kleidung und etwas zu essen.
Marek schilderte nun persönliche Gewalterfahrungen. Zwei- bis dreimal bekam er im Lager schwere Prügel. Einmal war er auf dem Weg zur Kantine, um für einen Kapo etwas zu holen. Ein SS-Mann mit Hund hielt ihn an, schrie ihm etwas zu, das er nicht verstand und prügelte daraufhin auf ihn ein. Ein anderes Mal warteten sie darauf, dass reparierte Rucksäcke abgeholt wurden. Die Häftlinge reparierten Schuhe, Rucksäcke und auch Waffen für die Deutschen. Marek legte sich einen Moment auf die Rucksäcke, um sich auszuruhen, in diesem Moment kam ein SS-Mann rein, der sofort auf ihn eintrat. Sonst wurde er v.a. von Kapos verprügelt.
Die Richterin ließ anschließend einen Plan des Lagers verteilen, auf dem Marek einzelne Orte benennen sollte. Danach fragte sie nach den Wachtürmen. Marek antwortete, dass die Türme im Lager sichtbar waren. Auf den Türmen selbst konnte er aber nur Gestalten erkennen. Marek wurde nun ein Foto von der aktuellen Ansicht vom Krematorium und der Gaskammer vorgelegt. Er gab an, dass das Foto der alten Ansicht entspricht. Das Krematorium hat er nie betreten, aber er wusste von anderen Häftlingen, dass sich dort zwei Öfen befanden. Es wurde oft darüber gesprochen. Den Neuankömmlingen in Stutthof wurde gesagt, dass sie die Freiheit nur über das Krematorium erlangen werden. Von der Gaskammer wusste er seit seiner Ankunft im Lager am 25.5.1944. Das haben alle gewusst. Wenn Häftlinge von SS-Männern abgeholt wurden und nicht wiederkamen, war klar, dass sie ermordet wurden. Die Gaskammer war ein „offenes Geheimnis“. Marek sah die Gaskammer, aber nicht, wie Häftlinge hineingeführt oder Gift eingeworfen wurde. Das Krematorium konnte er vom Fenster des Krankenhauses aus sehen. Als die Häftlinge am Fenster standen, wurden sie von einem Sanitäter aufgefordert dort wegzugehen, weil das für alle gefährlich hätte enden können. Einmal sah er, wie zehn Häftlinge von SS-Männern zur Gaskammer gebracht wurden. Die Fenster im Krankenhaus wurden später mit Brettern vernagelt. Zu dieser Zeit, Ende 1944, kamen auch die ungarischen Juden ins Lager. Marek berichtete abschließend, dass ein Scheiterhaufen im Lager errichtet wurde, als das Krematorium mit der Verbrennung nicht mehr hinterherkam.
Die Verhandlung wurde unterbrochen. Die Richterin kündigte an, die Befragung des Zeugen am Mittwoch fortzusetzen und dann konkretere Fragen zu stellen.