Während bislang nur eine Kundgebung von sehr wenigen Personen vor dem Landgericht organisiert worden war, waren nun ein paar mehr UnterstützerInnen anwesend. Doch am heutigen Montag tauchten keine „Reichsbürger“ oder „Volkslehrer“ auf. Angekündigt war, dass Bruno D. auf Fragen antworten werde. Zu Beginn der Sitzung wurde ein von mehreren Nebenklageanwälten unterstützter Antrag gestellt, einen Lokaltermin in der Gedenkstätte Stutthof anzuberaumen. Die Nebenklägerin begründete dies über ihren Anwalt mit der Wirkung, welche die Reise nach Auschwitz für den Auschwitz-Prozess der Jahre 1963-65 hatte. Für diesen Prozess erhoffte sie sich mehr Klarheit über die räumliche Nähe der Wachleute zu den Verbrechen. Die Richterin nahm den Antrag entgegen und begann dann mit Fragen an den Angeklagten. Bruno D. verlas zuerst eine selbstgeschriebene Erklärung. Er habe das Leid im KZ gesehen und die Opfer taten ihm leid. Er musste seinen Wehrdienst im KZ ableisten, was er nicht wollte. Er habe seine Versetzung in die Küche oder Bäckerei beantragt, dem wurde nicht statt gegeben. Die Bilder des Schreckens aus dem KZ hätten ihn verfolgt. Einmal habe er die Möglichkeit gehabt zu helfen und das auch getan, dabei eine schwere Strafe riskierend.
Die Richterin Anne Meier-Göring fragte nun, wie er mit den Bildern umgegangen sei. Bruno D antwortete, er habe versucht, diese Bilder zu verdrängen, über die er mit niemandem habe reden können, da er nach dem Dienst im KZ keine Zuhause mehr hatte und seine Eltern nur selten (zum Wäschewaschen) sehen konnte. Er musste nach 1945 selber durchkommen: „Ich habe es geschafft, weiter zu leben.“ Seine Frau habe von Anfang an Bescheid gewusst. Auf Nachfrage nach den konkreten Bildern sprach Bruno D. wieder vom Wunsch zu verdrängen. Er sprach von Leichen, vom Tagesbeginn, als nackte Leichen aus den Baracken des Frauenlagers geholt wurden und auf Karren geworfen wurden. „Wenn der Abtransport war, dann war der Wagen voll. Wurden einfach raufgeschmissen.“ Er habe die Toten nicht gezählt, sie waren von Krankheiten (Fleckfieberepidemie) geschwächt und dünn, ‚ausgemergelt.‘ Die Häftlinge waren für ihn Gegner des NS wie Kommunisten, Juden und „normale“ Häftlinge. Die Häftlinge habe man in ihren gestreiften Anzügen nicht unterscheiden können. Zeichen wie Davidstern oder „P“ habe er nicht erkennen können. Die Häftlinge taten ihm leid. Er habe nicht gesehen, wie sie starben, er durfte nicht in die Baracken, durfte nicht mit ihnen reden. Nur einmal habe er mit Häftlingen geredet. Er habe ein Außenkommando zu einer Baustelle geführt und Häftlinge fragten ihn wegen ihrer Notdurft. Sie seien länger weggeblieben, aber wieder gekommen. Sie baten ihn um sein Einverständnis, aus einem frischen Pferdekadaver Fleisch zu schneiden. Sie hatten Messer, was ihn erstaunte. Er wollte sie hindern, denn sie konnten das Fleisch nicht ins Lager schmuggeln, aber sie sagten ihm, das würde ihnen gelingen. Er sei sich bewusst gewesen, dass er dafür „auf die andere Seite des Zaunes“ hätte kommen können. Die Häftlinge waren Männer, nicht so ausgemergelt. Die Richterin erinnerte ihn, dass er nicht nur, wie er jetzt sagte, dieses eine Mal mit Häftlingen geredet habe. Bruno D. bestätigte eine Aussage von 1982, wonach er nach dem Wachdienst das Krematorium von innen angeschaut habe. Ein Häftling habe ihm einen toten Kapo gezeigt, der unter mehreren Leichen lag. Nachgefragt, behauptete D., er könne sich nicht an einen Geruch aus dem Krematorium erinnern, obwohl ein Wachturm direkt benachbart war. „Ich kann nicht sagen, wie die Luft war.“ Stattdessen zog sich Bruno D. in eine Opferrolle zurück, denn jetzt würden die Bilder wieder wachgerüttelt. „So habe ich mir mein Alter nicht vorgestellt!“ Die Richterin erinnerte an die Opfer, die Menschen auf der anderen Seite: „Können Sie das verstehen?“ Bruno D: „Es ist schon so viel darüber gesprochen worden.“ Die Richterin: „Diese Menschen, die dort waren, fragen sich, warum Sie dort waren und Dienst gemacht haben.“
Auf Antrag des Verteidigers wurde nun eine Pause gemacht. Nach der Pause wurde Bruno D. gesprächiger. Vorher hatte er z.T. etwas stockend geantwortet und manche Frage nicht verstanden oder verstehen wollen. Auf die Frage der Richterin, was er über Juden gewusst habe, erzählte er von seinem Wissen, dass Juden abgeholt wurden. Sein Vater sei als früherer Anhänger der Zentrumspartei kurz davor gewesen, wegen einer kritischen Äußerung nach Stutthof eingewiesen zu werden. Über Politik oder KZ habe man aber nicht gesprochen in seiner Familie. Und er sei ein Einzelgänger gewesen, habe nicht über solche Themen mit anderen gesprochen. Marschieren und in die HJ wollte er nicht. Die Werbeveranstaltung zum Eintritt in die SS habe er verlassen wollen, das durfte er nicht. Da habe er so getan, als fülle er den Antrag aus. Seine Erzählungen waren widersprüchlich, was Nachfragen der Richterin provozierte. Wurde nicht über KZ gesprochen oder warnte ihn der Vater vor dem NS? Wie war es möglich, dass er die deportierten Juden für „unschuldig“ hielt, aber von Tötungen nichts gewusst haben will und auch nicht fragte, warum sie starben und wie sie starben. „Wer wollte denn gerne Soldat werden“, fragte Bruno D. und erzählte ausführlich von seiner Musterung. Er habe einen Herzfehler angegeben und sei daher nicht frontverwendungsfähig geschrieben worden. Sie mussten vor dem Arzt nackt durch den Raum laufen „wie die Häftlinge“. Richterin Meier-Göring wies ihn darauf hin, dass diese Bemerkung von jemandem, der als Soldat in Stutthof war, unpassend sei und für Häftlinge wie ein Schlag, „eine ziemliche Ohrfeige“, gegen sie empfunden werden könne. Bruno D. verstand nicht, dass er sich besser entschuldigt hätte, antwortete aber etwas zögernd mit Ja, als die Richterin betonte, dass das doch etwas ganz Anderes sei und ein Vergleich völlig unangemessen sei. An diesem Punkt unterbrach sein Anwalt Bruno D.s Mitteilungsbedürfnis, die Zeit sei vorbei.. Bruno D. wirkte aber noch ziemlich aufgeräumt. Am vierten Tag wird der Blick in Bruno D Erfahrungswelt fortgesetzt werden.