Verlesung der Aussagen von zwei Nebenklägerinnen, Plädoyer des Staatsanwalts
Zu Beginn kündigt die Richterin an, dass sie die Zeugenaussagen von zwei Nebenklägerinnen verlesen wird, beides hochbetagte Frauen, die heute in Israel bzw. den USA leben und aus Altersgründen die Reise zum Prozess nach Hamburg nicht antreten können.
Bei der ersten Zeugin handelt es sich um Dita Sperling, geb. 15.4.1922 in Kaunas, Litauen, die im Juli 1944 zusammen mit ihrer Mutter aus dem Ghetto Kaunas nach Stutthof deportiert wird. Der Bericht von Dita Sperling ist relativ knapp. Sie berichtet vom Transport in den Güterwaggons und der Trennung von Männern und Frauen in Stutthof. Bei der Ankunft in Stutthof habe sie Berge von Brillen und Berge von Schuhen gesehen und es war ihr sofort klar, dass es ein Krematorium gab. Es gelingt ihr mit ihrer Mutter zusammenzubleiben. Sehr ausführlich schildert sie, wie auf dem dreiwöchigen Todesmarsch eine Cousine von ihr, die zurückbleibt, erschossen wird.
Der Bericht der zweiten Zeugin, Marga Griesbach geb. Steinhardt, ist sehr ausführlich, 15 Seiten lang, die Verlesung durch die Richterin dauert 50 min. Marga Griesbach, jetzt in den USA lebend, kommt aus Witzenhausen in Hessen. Im Herbst 1941 wird ihre Familie zunächst in das Ghetto von Riga deportiert. Sie schildert sehr eindringlich die Situation im Ghetto, wo ihre Familie im Frühsommer 1944 die letzte vollständige und intakte Familie war.
Am 5. August 1944 wurde die Familie Steinhardt auf Schiffen und Lastkähnen nach Stutthof gebracht. Die 17-jährige Marga sieht, genauso wie Dita Sperling, Berge von Schuhen. Sie berichtet von der Trennung der Familie, Zäunen unter Strom, Wachtürmen mit Suchscheinwerfern. Ca. 1000 Frauen waren in einer Baracke ohne Wasser zusammengepfercht, jeden Morgen waren 20-25 Frauen tot. Marga Steinhardts elfjähriger Bruder wurde im September 1944 von Stutthof nach Auschwitz deportiert und dort sofort ermordet. Sieben Wochen nach der Ankunft in Stutthof wurden Marga und ihre Mutter in ein Außenlager bei Bromberg gebracht, wo sie teilweise schikanöse Arbeiten verrichten mussten (Felsbrocken in Kisten verpacken), aber letztendlich Eisenbahngleise instandsetzen mussten. Mitte Januar 1945 begann der Todesmarsch Richtung Westen ohne jede Verpflegung, die Häftlingen aßen Schnee. Die Kolonne kam wiederholt in Kämpfe zwischen Russen und Deutschen. Am 30. Januar haben Mutter und Tochter den Todesmarsch unbemerkt verlassen, weil die Mutter aufgrund starker Erfrierungen nicht weiterlaufen konnte. Der Mutter mussten Teile der Füße amputiert werden. Mutter und Tochter trafen am 2. Mai auf die Amerikaner, sie lebten dann noch zweieinhalb Jahre in Lübeck, bevor sie in die USA emigrieren konnten.
Mit den beiden Zeugenaussagen Sperling und Griesbach war die Beweisaufnahme beendet.
Nach der Pause beginnt der Staatsanwalt mit der Herleitung zu seinem Plädoyer: Beihilfe zu Mord ist die vorsätzliche Hilfe zu Mord, ebenso zu Massenmord. Der Gehilfe braucht das Ausmaß des Massenmordes nicht gekannt zu haben. Auch jemand, der das Geschehen vom Wachturm aus verfolgt hat, habe Beihilfe zu Mord in 6 Mio. Fällen geleistet. Aber es geht nicht an, dass Eichmann und ein Gehilfe auf dem Wachturm dieselbe Strafe erhalten. Der Staatsanwalt weist auf die juristische Neuausrichtung seit dem Gröning-Urteil hin, wonach sich Tötung nicht auf das direkte Töten bezieht, sondern jeder der NS-Maschinerie angehörigen Person zugerechnet wird, was im KZ passierte. Der Staatsanwalt sieht Bruno D. der Beihilfe an 5230-fachem Mord überführt. Der Beschuldigte habe vorsätzlich gehandelt und keine Zweifel an seinem Handeln gehabt. Die Angaben des Angeklagten seien widersprüchlich, er hätte loswerden wollen, was er wusste, so dass die Staatsanwaltschaft Heimtücke annehme. Laut Staatsanwalt hat der Angeklagte auch das Unrecht erkannt (das Elternhaus stand politisch der Zentrumspartei nahe). Der Staatsanwalt betonte, dass Bruno D. Beihilfe durch Handeln (und nicht durch Unterlassen) geleistet habe. Er habe das Unrecht erkannt, es fehle jedoch jeder Hinweis auf innere Konflikte, er habe bei den Morden aus taktischer Anpassung weggesehen.
Der Staatsanwalt wog, kurz bevor er das von ihm geforderte Strafmaß bekannt gab, negative und positive Merkmale von Bruno D.s Leben ab (tadelloses Leben nach dem Krieg). Gegen Bruno D. spricht die Ungeheuerlichkeit des Verbrechens, an dem er teilgenommen hat, Mord verjährt nicht und der Angeklagte könne sich nicht auf sein angebliches Einzelgängertum berufen.
Der Staatsanwalt plädierte bei 5230-facher Beihilfe zu Mord auf das Strafmaß von 3 Jahren und der Übernahme der Verfahrenskosten.
Nach Schluss der Sitzung zeigten Reaktionen einiger der Rechtsanwälte der Nebenklage sehr deutlich, dass nicht alle Rechtsanwälte die Herleitung und die Begründung des Plädoyers nachvollziehen konnten.