Fortsetzung von Plädoyers der Nebenklagevertretung
Es begann der Anwalt Barba. Juristisch sei durch das Teilgeständnis des Angeklagten die Anklage bestätigt worden, auch wenn der Angeklagte kein Schuldbewusstsein erkennen lasse. Denn „wer dabei war, hat sich schuldig gemacht. Ohne den Dienst der Bewacher wären die KZ-Häftlinge nicht in Stutthof geblieben, auch wenn der Angeklagte nur das letzte Glied in der Kette war. Auch die Angabe D.s, nicht geschossen zu haben, entlaste ihn nicht, denn, so frage Barba polemisch, „hat in Deutschland denn niemand geschossen?“ Auch habe Dey keinen Versetzungsantrag gestellt. Dass er heute von Problemen mit dem Dienst spreche, sei eher den Problemen mit der Verarbeitung des Geschehens heute zu erklären. Näher ging Barba auf die Beteiligung D.s in Neustadt ein. „Wie viel näher hätte er sein können?“, fragte Barba und beschrieb dann die Fahrt auf den Schuten und am Strand. Dagegen seien D.s Aussagen lückenhaft und unglaubwürdig, denn er sei mittendrin gewesen. Abschließend äußerte sich Barba zum Strafmaß. D. sei geständig, zeige aber keine Reue. Die Beteiligung in Neustadt wertete Barba strafverschärfend, da D. hier näher dran war. Der Umstand, dass Jahrzehnte lang keine Anklage erhoben wurde, weil die Justiz mit Nazis gespickt war, dürfe nicht strafmildernd sein. Es war auffallend, dass Barba seine Mandanten mit keinem Wort erwähnte.
Christine Siegrot setzte mit ihren Ausführungen fort. Die Justiz habe versagt, die zentrale Stelle Ludwigsburg habe versagt, Richter und Staatsanwälte wollten nicht. Ihren Mandanten gehe es um ein Urteil. Sie haben Fragen an den Angeklagten, z.B. ob er sich erinnere, wie die Alten im KZ behandelt wurden. Siegrot erinnerte daran, dass in den Verfahren wegen Beihilfe nur ein einziges Urteil rechtskräftig wurde. Dann ging sie auf die „neue Macht der Sachverständigen“ ein. In Neubrandenburg habe eine Hausärztin den Angeklagten verhandlungsunfähig geschrieben. Im Fall D. gab es ein Gutachten von Püschel/Theißen von geringem Umfang, mit dem D. Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt wurde, da er nicht mehr konzentrationsfähig sei. Heute im Verfahren sei D. erkennbar auf der Höhe. Siegrot erkannte an, dass D. nicht dieses „Trittbrett“ nutzte, sondern eine Aussage machte. Ihre Mandanten hätten Angst gehabt, dass D. schweigen würde. Siegrot nannte Belege für die Nachwirkungen der Verfolgung für ihre Mandanten. Dann ging sie auf einige Anklagepunkte ein (unterlassene medizinische Hilfe?, Wissen von der Genickschussanlage, angeblicher Befehlsnotstand). D. habe keine innere Zerrissenheit oder inneren Konflikt mit dem Dienst im KZ gehabt. Er habe erkannt, dass Verbrechen geschahen und seine Ausflüchte heute seien unglaubwürdig. Sie erwähnte nun die Perspektive des Nebenklägers Korisky, der niemals einen freundlichen oder mitfühlenden Wachmann erlebte, der im Gegenteil dauernd in Angst war. Siegrot erwähnte die wenigen Augenblicke, in denen D. Gefühle zeigte. Bei der Umarmung des Nebenklägers Loth habe er geweint, aber zugleich beteuert „Ich habe wirklich nichts gemacht“. Siegrot nahm sich auch die Aussagen von D. vor, mit denen er seine Rolle in Neustadt beschrieb, denn die von D. benutzten Begriffe „einsammeln“ oder „zum Hafen marschieren“ stehen in Kontrast zu dem, wie ihr Mandant Ackermann die Fahrt auf den Schuten und die Morde am Strand erlebte. Gerade in Neustadt hätte D. die Möglichkeit gehabt, sich zu entfernen. Und abschließend mache auch die Klage D.s über seinen verdorbenen Lebensabend ihre Mandanten fassungslos. Diese haben Alpträume und konnten auch die Aussage vor Gericht nur leisten, weil sie sich dazu verpflichtet fühlen.
Nun plädierte der Anwalt Horstmann. Er habe gehofft, dass sich D. nach 75 Jahren der Verantwortung stelle, denn er habe es geschafft, sein Leben neu zu strukturieren. Jedoch könne man D.s Aussagen auf die Formel bringen: „Ich habe nichts getan, weil ich es musste.“ D. übernehme keine persönliche Schuld. Daher appellierte Horstmann an D., in seinem Schlusswort anders zu sprechen. Horstmann gab aus seiner Sicht zu bedenken, dass er selber nicht wisse, wie er in so einer Situation gehandelt hätte und ob er alternativ sich „zur Ostfront, wo man nach zwei Tagen tot war“ gemeldet hätte. Seine Mandantin wünsche, dass D. durch sein Schlusswort zu „seinem Frieden“ komme.
Nun folgte das Plädoyer des Anwalts Bloemer. Sein Mandant sei 100 Jahre alt und im Widerstand polnischer Pfadfinder 1943 in das KZ Stutthof eingeliefert worden. Dort habe es keinen Unterschied gemacht, ob man jüdischer oder slawischer Gefangener war, beide wurden „lebensbedrohlichen Bedingungen“ ausgesetzt.
Zum Schluss plädierte die Nebenklagevertreterin Vogel. Sie vertritt Golda Ehrlich. Sie wäre gerne gekommen, um dem Angeklagten in die Augen zu sehen. Ihre Erinnerungen seien schwer in Worte zu fassen, aber seien in Körper und Seele. Der „Horror“ der Erinnerungen sei bei D. nicht vorhanden, er habe durch Verdrängung ein friedliches Leben geführt. Vogel berichtete aus eigenen Familiengesprächen, wo als Antwort kam, dass sie sich das Erlebte gar nicht vorstellen könne. Gerade daher aber sei es wichtig, es zu erklären. „Wir brauchen die Berichte der Zeugen.“
Richterin Meier-Göring fragte nun, ob noch weitere Plädoyers kommen würden. Angekündigt wurden Plädoyers von jeweils 45 Minuten durch RA Nestler und die Gruppe der Rechtsanwälte Münchhausen/Özata/Daimagüler.