Die Richterin erklärte zu Beginn der Verhandlung, dass der Prozess um drei weitere Termine verlängert werde (13.5., 3.6. und 9.6.). Dann meldete sich der Rechtsanwalt von Marek Dunin-Wasowicz zu Wort und gab eine Stellungnahme zur Aussage seines Mandanten in der vergangenen Sitzung ab. Er bezog sich dabei auf die Kritik von Rechtsanwalt Nestler, die dieser an den Aussagen von Dunin-Wasowicz über ungarische Juden und Jüdinnen in Stutthof geäußert hatte. Rechtsanwalt Niwinksi betonte zunächst, dass auch etwa 12.000 Juden und Jüdinnen aus Ungarn von Auschwitz nach Stutthof deportiert worden sind. Die Aussage seines Mandanten, dass diese Menschen über mehr Besitz als andere Häftlinge verfügten, sei im Kontext zu sehen und sollte keine antisemitischen Klischees bedienen. Darüber hinaus zählten zwei Angehörige der Familie Dunin-Wasowicz zu den Gerechten unter den Völkern, weil sie jüdische Verfolgte während der deutschen Besatzung unterstützten. Abschließend verwies Rechtsanwalt Niwinksi auf die Aussage von Marek Dunin-Wasowicz vom 30.10.2019, in der sich Letzterer deutlich gegen den wiederaufkommenden Rassismus und Faschismus in Europa positioniert hatte.
Gutachter Dr. Hördler
Zum Dienstalltag der Wachmannschaften berichtet er, dass die Wochenpläne nach dem Rotationsprinzip angelegt waren. Zwölf Stunden Dienst, zwölf Stunden Bereitschaft. Das betraf alle Aufgaben und Arbeiten sowohl innerhalb als auch außerhalb des Lagers. Alle Wachdienstfähigen wurden für ALLES ausgebildet. Das heißt, dass auch der Angeklagte im Zeitraum August 1944 – April 1945 in verschiedenen Bereichen eingesetzt gewesen sein musste. Um sicherzustellen, dass alle Wachleute entsprechend den Anweisungen agierten, wurden sie laufend belehrt, z. T. in wöchentlichem Unterricht (Aufgaben und Pflichten der Wachmannschaften) und anhand von Merkblättern und mit Hilfe eines bebilderten Buches (falsch/richtig). Bruno D. erklärte erneut, dass er ein solches Buch nie gesehen habe.
Aufgrund von zunehmenden Massentransporten nach Stutthof war das Lager überfüllt. Am 6.11.1944 wurden auf Befehl von Hoppe daher die Maßnahmen zur „geordneten Abfertigung“ verschärft. Schusswaffen sollten quasi nach freiem Ermessen zur gezielten Tötung von Flüchtenden – ohne Anruf – sofort eingesetzt werden. Dies diente auch dazu, sich missliebiger Häftlinge zu entledigen.
Wachvergehen, z.B. das Einschlafen während der Wache, wurden bestraft – jedoch nicht mit dem Tode, wie der Angeklagte ausgesagt hatte. Normalerweise mit „verschärftem Arrest“ o. Ä. Auch das Thema „Wachvergehen“ wurde im Unterricht der Wachmannschaften behandelt.
Eingesetzt wurden die Wachleute z. B. zur Übernahme und Registrierung von Deportierten in unterschiedlichen Bereichen des Lagers. Da Häftlinge oft zu Tausenden ins Lager kamen, waren zwangsläufig alle Wachleute im Einsatz. Dem konnte sich keiner der ca. 1000 Bewacher entziehen. Es sei daher sehr unwahrscheinlich, dass Bruno D., wie er selbst behauptet hat, bei ankommenden Transporten nicht eingesetzt gewesen sei. Dagegen spreche auch der geringe Bewachungsschlüssel in Stutthof, der im Januar 1945 mit 1:49 einer der niedrigsten im gesamten KZ-System war. Der Durchschnitt lag zu diesem Zeitpunkt bei 1:17.
Auch mit der sogenannten „Überstellung“ von Häftlingen zur Zwangsarbeit oder zur Vernichtung nach Auschwitz waren Wachleute beschäftigt. Ab August 1944 wurden „Nicht-Arbeitsfähige“ und vor allem alle Mütter mit Kindern zur Ermordung nach Auschwitz gebracht. In großer Zahl kamen auch Massentransporte, vor allem jüdischer Häftlinge, aus anderen Lagern. Diese wurden in Stutthof „selektiert“ – meist im Freien – und innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach Auschwitz gebracht. Vor allem Männer kamen zum Arbeiten in Lager mit Rüstungsproduktion. Zum Teil blieben auch Nicht-Arbeitsfähige in Stutthof. Dort ließ man sie in großer Zahl durch Hunger, Kälte und Krankheit bei Arbeitseinsätzen umkommen. Tausende wiederum wurden in Stutthof vergast und erschossen.
In der Zeit vom 29.6. – 28.10.1944 kamen 27 Transporte, täglich mehrere Tausend, mit ca. 48.000 Menschen – viele aus den Ghettos – ins KZ Stutthof. Stutthof war zu einer Art „Drehscheibe“ der Selektion geworden.
Ab Januar 1945 begannen große Massenverbrennungen von Leichen im KZ Stutthof. Dies geschah auch im Freien.
Stutthof hatte von allen KZ die höchste Sterberate.