Am Mittwoch, dem 30.10.2019, fand der sechste Verhandlungstag im Strafprozess gegen Bruno D. vor dem Landgericht Hamburg statt. Dieser Prozesstag stand unter dem Zeichen der Zeugenaussage des Stutthof-Überlebenden Marek Dunin-Wasowicz aus Polen.
Die Richterin setzte unvermittelt dort an, wo die letzte Schilderung des Zeugen aufgehört hatte und warnte ihn bereits zu Beginn vor, ihm einige konkretere Fragen stellen zu wollen. Dabei nahm sie Bezug auf ein Vernehmungsprotokoll aus dem Jahre 1968, in dem Dunin-Wasowicz vor einer Kommission in Warschau bereits zu Stutthof ausgesagt und detaillierte Angaben gemacht hatte. Mehrmals verwies sie bei ihren Nachfragen auf diese Vernehmung – Dunin-Wasowicz hingegen musste mitunter (ähnlich wie am vorigen Prozesstag) gestehen, dass er fünfzig Jahre später nicht immer genau differenzieren könne, was er damals gewusst habe und was sein jetziger Kenntnisstand sei.
Herr Dunin-Wasowicz berichtete erneut über die verschiedenen Stationen, die er im Lager Stutthof durchlief – von der Quarantäne nach Ankunft über verschiedene Arbeitskommandos bis zum Aufenthalt im Lagerspital, von wo aus er mehrmals Kolonnen habe beobachten können, die in die Gaskammern geführt wurden. Wenngleich er nicht gesehen habe, wie ein SS-Mann die Tür der Gaskammer öffnete und die ungarischen Juden hineinführte, so habe er doch gesehen, wie hunderte Juden innerhalb von wenigen Wochen angekommen sind und plötzlich verschwanden. Diese mussten wochenlang im Schlamm vor dem Lager ausharren, bevor sie in das neu errichtete Judenlager gebracht wurden. Marek Dunin-Wasowicz ging täglich an dieser Gruppe, die aus ganzen Familien bestand, auf dem Weg zu seinem Arbeitskommando vorbei. Er stützte seine Aussage vom Montag, nach der es im Lager ein offenes Geheimnis war, dass Menschen vergast wurden. Da Polen mehrere Jahre besetzt und der Mord an den Jüdinnen und Juden bereits seit langem betrieben wurde, habe sich jeder Inhaftierte ausmalen können, was mit den plötzlich verschwundenen jüdischen Neuankömmlingen geschehen sei. Auf die Frage der Richterin, ob er vor dem Krematorium Leichen gesehen habe, antwortete Marek Dunin-Wasowicz, dass Leichen im Lager Alltag waren. Sie lagen an jeder Stelle, auch beim Appell direkt neben den Häftlingen. Er sah oft mit Leichen beladene Wagen, die von Häftlingen zum Krematorium gezogen werden mussten.
Sogar auf die auf Details wie etwa Zeit und Ort der Tat abzielenden Nachfragen konnte Herr Dunin-Wasowicz erstaunlich gut reagieren und war in der Lage, zumindest den ungefähren Hergang zu rekonstruieren.
Herr Dunin-Wasowicz trat sehr charmant auf und wusste auf die Fragen der Richterin angemessen zu reagieren. Allerdings war es auch durchaus erstaunlich, wie sich die Richterin trotz sicherlich mangelnder Ausbildung in diesem Bereich bemühte, Herrn Dunin-Wasowicz nicht nur den bohrenden und oft verletzenden Nachfragen auszusetzen, sondern versuchte, ihn auch als Menschen und vor allem als Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung wahrzunehmen. So versuchte sie, wenngleich nicht immer elegant und sicherlich auch auf diskutable Art und Weise, über persönliche Nachfragen aus dem Verhandlungstag zu führen und ihn als Menschen zu hören. Auf die Frage der Richterin, wie er die Zustände im Lager aushalten konnte, antwortete Marek Dunin-Wasowicz, dass er lange Probleme hatte normal zu leben. Er sei vollkommen gleichgültig geworden. Erst vor fünf Jahren habe er angefangen über seine Verfolgung und die Zeit in Stutthof zu sprechen. In Herrn Dunin-Wasowiczs Antwort auf die Frage der Richterin, wie es denn nun für ihn sei, nach so vielen Jahren nach Deutschland zu kommen, um vor einem deutschen Gericht einem gleichaltrigen Menschen gegenüberzusitzen, der in Stutthof auf der anderen Seite des Zauns stand, zeigte sich, was er meinte, als er sagte, dass dies für ihn niemals ein „normaler“ Prozess wird sein können: Seine Aussage verstand er als Pflicht und als Ehrerbietung gegenüber den zehntausenden Toten des KZ Stutthof. Darüber hinaus wolle er zeigen, was Konzentrationslager waren, denn wenn er sehe, was aktuell in Deutschland, Polen und Frankreich passiert, wenn Rassismus, Nationalismus und Faschismus wieder aufleben, bekomme er Angst.
Dass er sich für den Angeklagten Bruno D., der den gesamten Verhandlungstag über weder ein Wort sagte noch sonstige Regungen zeigte, nun rein gar nicht interessierte, verlieh dem Prozess selbst eine Eigenschaft, die schon aus dem Eichmann-Prozess in Jerusalem bekannt ist: nicht nur über die Täter zu reden, sondern vor allem den Geschichten der Verfolgten einen Raum zu geben.
Der Prozesstag endete mit einer Ankündigung des Verteidigers Stefan Waterkamp, der Nachfragen an Herrn Dunin-Wasowicz habe, für die jedoch aufgrund des bereits überschrittenen Zeitlimits kein Platz mehr war. Es wird in den nächsten Tagen und Wochen zu klären sein, ob es im Interesse des Gerichts und Herrn Dunin-Wasowicz zuzumuten ist, ihn für einen weiteren Verhandlungstag anreisen zu lassen.