Hamburg, 18. Juni 2019
Alle Farben der Antifa
Wir müssen reden, Herr Senator!
Sehr geehrter Senator Dr. Brosda,
„Vorbei ist nicht vorüber“, schrieb Elias Canetti. Das ist für uns als Vereinigung der Überlebenden der Konzentrationslager, ihrer Angehörigen und Freundinnen tägliches Erleben. Und daraus folgt für uns: Wir sind alle Antifa – Antifaschisten und Antifaschistinnen! Und Menschen wie ich, die den NS-Terror und die Konzentrationslager überlebt haben, sind froh über jeden einzelnen, der mit uns streitet für eine andere, bessere Gesellschaft ohne Diskriminierung, Verfolgung, Antisemitismus, Antiziganismus, gegen Ausländerhass. Und der gegen die Ausbeutung der Menschen und unseres Planeten kämpft, Hilfesuchende unterstützt und Geflüchtete aus Seenot rettet.
Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dass die Erfahrung meiner Generation in Vergessenheit gerät. Dann wären alle Opfer des Faschismus und des Krieges, alles, was wir erlitten haben, umsonst gewesen.
(Esther Bejarano)
Heute Antifaschistin zu sein, bedeutet für uns, sich der schweren Aufgabe der Auseinandersetzung mit den Ursachen, den Erscheinungsformen des Nationalsozialismus, des Nationalismus und der Menschenfeindlichkeit
zu stellen. Heute Antifaschistin zu sein, bedeutet für uns, alles uns Mögliche zu tun, um nie wieder zuzulassen, dass Menschen verfolgt und ermordet werden, dass die Menschheit durch Kriege bedroht oder vernichtet wird. Für uns Shoah-Überlebende, für unsere Angehörigen und Freundinnen ist das eine Aufgabe, die unser ganzes Leben bestimmt. Und wir würden unter dieser Aufgabe zusammenbrechen, wenn da nicht gemeinsam mit uns viele Menschen streiten würden. Und über jeden einzelnen dieser Vielen freuen wir uns, sie sind unsere Freundinnen, unsere Hoffnung auf eine bessere und friedliche Welt, in der nichts und niemand vergessen ist! Diese Hoffnung setzen wir besonders auf die jungen Leute, die jungen Antifa. Jede Generation der Antifa geht ihren eigenen Weg, wir sind keine homogene Gruppe, wir handeln selbstbestimmt und erkenntnisgeleitet, aber uns alle eint: Das „Nie wieder“, die kompromisslose Ablehnung von Faschismus und Krieg. Manchem sind wir unbequem, wir Antifaschistinnen. Wir sind die ewigen Mahner, die an schreckliche Zeiten erinnern.
Und jetzt, in Zeiten, in denen die rechte Szene sich zunehmend radikalisiert, weil viel zu viele einfach nur zuschauen und den Mund halten (Tagesthemen ARD 17.6.2019), in Zeiten, in denen die NSU-Morde nur unzu-
reichend aufgeklärt sind und in Kassel ein Regierungspräsident vermutlich von einem Neonazi erschossen wird, weil er sich für Geflüchtete eingesetzt hat, in diesen Zeiten empfiehlt Herr Gauck, der ehemalige Bundespräsi-dent, eine weitere Öffnung nach rechts. Und in Hamburg sprechen Sie als Senator für Kultur und Medien von der „so genannten Antifa“ auf einer Gedenkfeier vor und mit Überlebenden des KZ Neuengamme. Und dabei hatten Sie, Dr. Brosda, Ihre Rede so eindrucksvoll begonnen, sprachen von „gemeinsamer Verantwortung im Kampf gegen den Rechtsextremismus“. Um dann aber von einer „so genannten Antifa“ zu sprechen, deren weitere ideologische Positionen keine gesellschaftliche Resonanz erwarten dürfen; Sie benutzen dabei Begriffe, die in der rechtsradikalen Szene gebräuchlich sind, fahren fort mit pauschaler Gleichsetzung linker und rechter politischer Weltbilder. „So genannt“, das hat ganze Generationen durch den Kalten Krieg begleitet. Wir hatten angenommen, diese Begrifflichkeit sei inzwischen überholt.
Nein, wir verzweifeln nicht. Wir wissen um unsere Mammutaufgabe.
Wir laden Sie, Herr Kultursenator, ein zum Gespräch. Es gibt viel zu reden. Es gibt viel zu tun.
Herr Senator, bitte melden Sie sich!
Mit freundlichem Gruß
Esther Bejarano, Vorsitzende
Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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