Es ist nicht nur der Rost auf den alten Bahngleisen, um den es hier geht. Wir fragen uns: Sind die Debatten um Erinnerung – und Verantwortung – und Zukunft der vergangenen Jahrzehnte wirklich gründlich und ernsthaft genug geführt worden?
Die Vereinbarung aus dem Jahr 2017 über ein Dauernutzungsrecht für das Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof zwischen der FHH und dem Investor regelt das Auswahlverfahren von weiteren Mietern in dem Neubau eindeutig. In unserer Erklärung vom 22. Februar 2021 sind wir darauf eingegangen. An der Entwicklung dieses Gedenkorts beteiligen sich beratend Organisationen, darunter das Auschwitz-Komitee, Vertragspartner aber sind diese nicht. Nun soll als Mieter in dieses Haus ausgerechnet eine Nachfolgefirma der IG Farben AG einziehen, die das erste private KZ Auschwitz-Monowitz errichtete und Zyklon B in die Vernichtungslager lieferte. Für uns war es nicht vorstellbar, dass der Investor so eklatant gegen die in unseren Augen klar formulierten Vertragsbedingungen handeln würde. Wir haben darauf vertraut, dass die Anliegen der Organisationen der Opfer und Überlebenden seriös behandelt werden und ein Gedächtnisort in einem würdigen Umfeld entstehen wird.
Wir sehen die Freie und Hansestadt Hamburg weiterhin in der Pflicht, einen Gedenkort zu verwirklichen, der die Wahrnehmung der Opfer ernst nimmt und keinen Hauptmieter zulässt, der der Ausstrahlung des Hauses abträglich wäre. Wie andere Organisationen auch haben wir deshalb dafür plädiert, den jetzt bekanntgewordenen Hauptmieter abzulehnen. Wie andere Organisationen auch haben wir frühzeitig vor Problemen gewarnt, die aus der jetzigen Vertragskonstellation in Private Public Partnership entstehen könnten. Nach wie vor halten wir einen Gedenkort in städtischer Verantwortung für zielführend.
Wir möchten hier verwirklicht sehen, was wir mit anderen Organisationen in der Expertenrunde beraten und unterstützt haben. Wir möchten, dass die langjährige Arbeit des Gedenkstättenteams endlich in einer würdigen Umgebung präsentiert werden kann. Und wir wollen, dass die wenigen Überlebenden und ihre Angehörigen endlich die Eröffnung des Erinnerungsortes erleben – und erfahren können, dass für uns ERINNERN auch heißt, VERANTWORTUNG zu übernehmen. Und Verträge im Sinne dieser Verantwortung abzuschließen bedeutet, Verantwortung zu übernehmen auch für die Gefühle, die Trauer, die Sorgen, die Traumata der Überlebenden und ihrer Angehörigen.
„Wird das Denkmal geachtet werden?“, sorgte sich im Mai 2017 Lucille Eichengreen bei der Einweihung des Gedenkortes. Ihre Familie war vom Hannoverschen Bahnhof in den Tod deportiert worden. Sie kann das nicht mehr überprüfen: Im Februar 2020 ist sie verstorben.
Sind der Betroffenen vergessen worden? Wer sind wir, dass wir uns über ihre Wünsche und Gefühle hinwegsetzen?
Esther Bejarano, Überlebende der KZ Auschwitz und Ravensbrück, begegnete zufällig dem Investor und Vermieter am 14. April 2021 vor dem denk.mal Hannoverscher Bahnhof.
„Wir können uns nicht damit abfinden!“ appellierte sie und sagte weiter zu ihm: „Sie haben die Möglichkeit, Sie können das ändern. Sie müssen das ändern.“ Haben Sie den Mut.Wagen Sie diesen Schritt!
Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Der Vorstand
Esther Bejarano (Vorsitzende), Susanne Kondoch-Klockow, Helga Obens