Die Verantwortungsverweigerung der Deutschen Bahn AG für die Beteiligung der Deutschen Reichsbahn am nationalsozialistischen Mordprogramm
Veranstalter*innen:
AK-Distomo, Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e.V. und VVN-BdA Berlin
Tayo Awosusi-Onutor (Künstlerin und Mitbegründerin von RomaniPhen e.V.) und
Achim Doerfer (Anwalt, Autor und Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Göttingen).
Martin Klingner (Rechtsanwalt, Aktivist im AK-Distomo)
Wann: So, 13. Oktober 2024, 18 Uhr
Wo: aquarium/ Südblock (U-Kottbusser Tor, Admiralstraße 1-2, 10999 Berlin)
Eintritt frei, Spende erwünscht
Wie ernstgemeint ist das Gedenken in der Bundesrepublik Deutschland an die NS-Verbrechen? Die Veranstaltung beleuchtet die Frage, ob der deutsche Staat und seine Institutionen wie die Deutsche Bahn AG ernsthaft Verantwortung für die Beteiligung ihrer Rechtvorgänger/innen am NS-Mordprogramm übernehmen oder ob das Gedenken nur symbolisch bleibt. Wir setzen einen Kontrapunkt zur offiziellen Erinnerungspolitik, bei der Themen wie die Verfolgung von NS-Tätern und die unzureichende Entschädigung der Opfer ignoriert werden.
„Nur wer zahlt, meint es ernst“, sagt Salo Muller, der als jüdisches Kind von Widerständler*innen versteckt wurde und so den Nationalsozialismus in den Niederlanden überlebte. Seine Eltern wurden mit dem Zug nach Westerbork und Auschwitz deportiert und ermordet. Salo Muller forderte erfolgreich die niederländische Bahn (Nederlandse Spoorwegen) dazu auf Entschädigungszahlungen zu leisten. In der Bundesrepublik Deutschland hingegen verweigert die Deutsche Bahn AG Salo Muller und anderen Überlebenden und Angehörigen bis heute jegliches Gespräch.
Die Deutsche Reichsbahn verdiente gut an ihrer Mitwirkung am nationalsozialistischen Mordprogramm: Die Opfer mussten sogar für die Kosten ihrer eigenen Deportation selbst aufkommen. Schätzungen zufolge erhielt die Deutsche Reichsbahn umgerechnet etwa 445 Millionen Euro für diese Fahrten in Sammel-, Konzentrations- und Vernichtungslager.
Eine Diskussion über eine moralische, aber auch rechtliche Pflicht zu Entschädigungszahlungen wird systematisch verweigert. Die Deutsche Bahn AG, Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichsbahn, beteiligt sich zwar an Ausstellungen über ihre NS-Vergangenheit und spendet für die Gedenkstätte in Yad Vashem, weigert sich aber, ihre finanziellen und moralischen Schulden anzuerkennen.
Am Tag vor dem offiziellen Gedenken an die Deportationen der Jüdinnen*Juden am Gleis 17 in Berlin wollen wir über das das Auseinanderfallen von kulturellen Formen einer Verantwortungsübernahme, die vor allem dem Selbstbild der NS-Nachfolgegesellschaft dienen, und der fehlenden materiellen Haftung im Interesse der Opfer und Angehörigen ins Gespräch kommen. Welche Kritik gibt es an der Gedenkpolitik in Deutschland und welche Perspektiven gehen im öffentlichen Diskurs unter?
- Tayo Awosusi-Onutor ist Sängerin, Autorin, Verlagsinhaberin, Filmemacherin, Mitbegründerin von RomaniPhen e.V. und Teil der IniRromnja, zwei feministische Selbstorganisationen. In ihrer Kunst verbindet die Afro-Sintezza den Kampf gegen Diskriminierung mit Erinnerungskultur. Seitdem die Pläne bekannt sind, für den Bau einer neuen S-Bahn das Denkmal für die ermordeten Roma und Sinti Europas zeitweise zu schließen und seine Gestalt zu verändern, engagiert Tayo Awosusi-Onutor sich in der von Roma*Romnja und Sinti*Sintizze getragenen Protestbewegung.
- Achim Doerfer ist Rechtsanwalt, promovierter Rechtsphilosoph und Publizist, war lange Jahre Bundesvorsitzender der „Liberalen Türkisch-Deutschen Vereinigung“, ist Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Göttingen, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Niedersachsens. In seinem Buch Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen thematisiert Achim Doerfer jüdischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die Defizite von Strafverfolgung und die Dominanz eines christlich geprägten Versöhnungsverständnisses.
- Martin Klingner vom Arbeitskreis-Distomo und Rechtsanwalt von Salo Muller wird darlegen, wie sich eine allgemeine politische Haltung in Deutschland in der Verweigerung der Entschädigungspflichten der Deutsche Bahn AG als Nachfolgerin der Reichsbahn spiegelt. Der AK-Distomo kämpft seit vielen Jahren für die Entschädigung von NS Opfern.
Die deutsche Gedenkkultur wird oft als vorbildlich dargestellt, doch die tatsächliche Verantwortungsübernahme für NS-Verbrechen bleibt aus. Ein Beispiel für die fehlende Sensibilität ist die Planung einer neuen S-Bahn-Strecke der Deutsche Bahn AG in Berlin, deren Tunnel am Denkmal für die im NS ermordeten Roma*Romnja und Sinti*Sintizze entlang verlaufen soll. Bei Bauplanungen wird ein Schaden am Denkmal in Kauf genommen und das Andenken an die Opfer ignoriert und die Überlebenden und Angehörigen wurden nicht in die Planung einbezogen
Anschließend Diskussion mit allen Anwesenden.
Die Veranstaltung findet am Vorabend der offiziellen Gedenkfeier zum Beginn der Deportationen der Jüdinnen*Juden am Gleis 17 in Berlin statt.