Esther Bejarano und Peggy Parnass melden sich zu Wort.
Eine repräsentative Synagoge als ein sichtbares Zeichen des Judentums in Hamburg, kann das den Antisemitismus stoppen?
Esther Bejarano: Ja, wenn das helfen würde, würde ich sagen: Bitte baut tausend Synagogen! Allein: Ich zweifle an der Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens. „Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher“, stellte bereits Hannah Arendt fest. Antisemitismus können wir nur bekämpfen, wenn wir die Jungen gewinnen. Bei meinen ungezählten Begegnungen mit Schüler*innen wird mir regelmäßig versprochen, dass meine, dass unsere Erzählung weitergetragen wird, unsere Botschaft der Überlebenden. In diese Jugend setze ich meine ganze Hoffnung, ihr traue ich zu, die Welt zu verändern. Diese Jugend hat mir Mut gemacht, hier im Land der Täter*innen zu leben, ihr vertraue ich.
Peggy Parnass: Eine Synagoge, egal welche, fördert keinen Antisemitismus, löscht ihn aber auch nicht aus. Antisemitismus, den treffen wir überall. Sehr unangenehm. Um den Antisemitismus zu stoppen, müssen wir neue Wege gehen und immer und immer wieder miteinander reden, über alles nachdenken und richtig miteinander reden über das, was wir erreichen wollen.
Was aber braucht die jüdische Gemeinschaft und was brauchen die jüdischen Gemeinden? Was brauchen die jüdischen Menschen, die hier in Hamburg leben? Und was können alle Hamburger*innen gegen den Antisemitismus tun?
Esther Bejarano: Darüber sollten wir alle gemeinsam nachdenken. Nach dem Angriff auf die Synagoge in Halle wurde in Hamburg vom Rabbiner Bistritzky vorgeschlagen, die Bornplatz-Synagoge im Herzen des Grindelviertels wieder aufzubauen. Ich erinnere mich, diese Forderung öffentlich bereits am 23. September 2004 bei der Einweihung eines Lichtzeichens am Joseph-Carlebach-Platz gehört zu haben, allerdings mit dem zusätzlichen Wunsch nach einem Ort der Begegnung auf diesem Areal, auf dem auch noch ein Weltkriegsbunker steht, der von der Universität genutzt wird. Der geltende Denkmalschutz ausgerechnet für diesen Betonklotz sollte hinterfragt werden.
Peggy Parnass: Nach der Shoah haben sich Hamburgs wenige überlebende jüdische Menschen und nach Israel geflüchtete Hamburger Jüdinnen und Juden für den Neubau einer Synagoge an anderem Ort entschieden, für eine Einheitsgemeinde an der Hohen Weide, die 1960 eingeweiht und inzwischen restauriert wurde.
Die kurze Zeitspanne stolzer freistehender Synagogen mitten im Stadtbild schien nach dem Naziterror vorüber zu sein, der Weg der Assimilation eines selbstbewussten deutschen Judentums wurde in den Konzentrations- und Vernichtungslagern grausam beendet. 75 Jahre haben wir jetzt in einer Zeit des Übergangs gelebt. Jetzt bewegt sich einiges, in Hamburg wird über Synagogen diskutiert. Die Ruine des Tempels in der Poolstraße wird endlich gesichert. Im Grindelviertel, ehemals „Klein Jerusalem“ genannt, soll die Bornplatz-Synagoge wieder aufgebaut werden. Hier standen einst mehrere Synagogen und Bethäuser, einige fast unsichtbar in den Hinterhöfen. Ganz nah an der Bornplatz-Synagoge befand sich bis zu ihrer Kriegszerstörung die orthodoxe Neue Dammtor-Synagoge, wenige Gehminuten entfernt in der Oberstraße steht immer noch der große Neue Israelitische Tempel der Liberalen, eingeweiht 1931. Er wird vom NDR genutzt.
Esther Bejarano: In dieser Zeit des Übergangs sind nach und nach Gedenkorte wie der Joseph-Carlebach-Platz entstanden. Diese Leerstelle neben dem Bunkerklotz symbolisiert seit 1988 das Verschwundene, die zerstörte Synagoge und zeichnet deren Deckengewölbe nach.
Anfang der 1990er Jahre schon war der Platz wieder an vielen Stellen von Gras bedeckt – bis Schüler*innen der Ida-Ehre-Schule (damals Jahnschule) Hand angelegt haben mit ihrer Aktion „Lasst kein Gras darüber wachsen“ und mit kleinen Schabern das Gras auf dem Gedenkplatz Fuge um Fuge entfernten. Das war Erinnerungsarbeit, die „über die Hände in den Kopf und direkt ins Herz ging“, wie der Gärtner Andrzej es in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz bei einer ähnlichen Aktion 20 Jahre später ausdrückte. Anwohner*innen und Schüler*innen kümmerte sich in den folgenden Jahrzehnten um den Gedenkort, so gut es eben ging.
Esther Bejarano: Der Platz ist und war nie leer: Überlebende wie Elsa Werner, Miriam Gillis-Carlebach, Steffi Wittenberg, Esther Bauer, Schlomo Schwarzschild und viele andere, auch ich, wir sprachen dort immer wieder mit Schüler*innen, Aktionen wie „Jeder Mensch hat einen Namen!“ im Jahr 2006 und Mahnwachen zur Erinnerung an die Pogromnacht am 9. November 1938 haben unsere Freundeskreise organisiert. Wir alle haben dort gestanden – auf dieser Leerstelle, die eben doch ganz beredt vom vernichteten jüdischen Leben in Hamburg berichtet. Dieser Platz ist Teil der Hamburger Erinnerungsgeschichte geworden.
Sind wir, ist diese Gesellschaft wirklich reif dafür, die Spuren des Naziterrors unsichtbar zu machen? Müssen wir Rekonstruktionen nicht vielmehr fürchten? Denn nichts ist vorüber, nichts davon darf versteckt und vergessen werden – aber allzu oft vergessen wir Menschen die wichtigsten Zusammenhänge.
Peggy Parnass: Ich bin mit Sicherheit eine der ganz wenigen, die überhaupt die alte Synagoge jemals gesehen und betreten hat. Hier wünschte ich mir jetzt eine kuschelige kleine Synagoge wie ich sie in Prag gesehen habe. In so eine würde ich gerne gehen. Für gigantische Projekte habe ich nichts übrig. In der Synagoge an der Hohen Weide fühle ich mich aber nicht zu Hause.
Esther Bejarano: Ich wünsche mir am Bornplatz, am Joseph-Carlebach-Platz, ein Haus der Begegnung für alle Menschen! Ein Haus, in dem über die Ursachen von Antisemitismus, über Lebensbedingungen heute, über Solidarität und Gerechtigkeit, über Umwelt und Bildung diskutiert wird. Ein Haus, in dem für Antisemitismus und Rassismus kein Platz ist. Ein Haus, in dem alle Menschen, besonders die Schülerinnen und Schüler, eine andere, bessere Welt entwickeln können. Wo Geschichte zum Anfassen stattfindet. Ein offenes Haus, in dem sich in die großen Fragen der Menschheit eingemischt wird. Ein ganz neues und großes Projekt, über dessen äußeres Erscheinungsbild durchaus gestritten werden kann.
Wer hat den Mut, diese Aufgabe zu übernehmen?
Esther Bejarano und Peggy Parnass Hamburg, 10. Januar 2021