Die vorgesehene Videobefragung des Zeugen David Ackermann verzögerte sich wegen technischer Probleme. Für die Presse – die übrige bislang zugelassene Öffentlichkeit durfte nicht mehr zuhören – war nur eine Tonübertragung in einen Presseraum eingerichtet und leider kam der Ton nur unregelmäßig an. Und den Zeugen konnten wir nicht sehen, die Reaktionen von Bruno D. konnten wir nicht beobachten.
Der Zeuge (die Befragung wurde durch einen Hebräisch-Dolmetscher übersetzt) David Ackermann lebt in Israel und wurde 1930 in Litauen geboren. Mit 14 Jahren kam er in das KZ Stutthof, wo er die Nummer 96793 (er nannte sie auf Deutsch) zugeteilt bekam. Mit seinen Eltern und zwei Schwestern kam er aus dem KZ Riga-Kaiserwald 1944 per Schiff und Viehwaggon in das KZ Stutthof. Dort mussten sie duschen. Die Ankündigung dazu machte ihnen Angst, sie dachten, das wäre das Ende. Sie erhielten gestreifte Kleidung und wurden überall rasiert. In einer Baracke lebten tausend Häftlinge, er blieb mit seinem Vater zusammen.
Auf die Nachfrage der Richterin Meier-Göring zur Rolle von Wachmännern verwies David Ackermann auf die Kapos – die SS habe sich die Hände nicht schmutzig gemacht. Die Kapos schrien ständig, prügelten und erniedrigten die Häftlinge. Die SS konnte sich auf die Kapos verlassen.
Von Mutter und Schwestern wurde er sofort getrennt und blieb auch nur eine Woche mit dem Vater zusammen. Jedoch konnte er später über den Stacheldraht hinweg Kontakt zur Mutter und Schwester aufnehmen. Der erste Eindruck vom KZ: „Wir sind in die Hölle gekommen“. Die Häftlinge sahen nicht mehr wie Menschen aus, sie waren krank und dünn, später erfuhr er, dass man sie Muselmänner nannte. Bald sahen sie auch wie diese Muselmänner aus. Um ihn herum waren jüdische Häftlinge, doch es waren auch Polen, Norweger, Belgier, Litauer im Lager. Sein Vater hatte als Journalist Kontakt zu Mitgliedern der litauischen Regierung gehabt, von denen auch welche im KZ saßen. Diese versprachen seinem Vater, ihm ein Sandwich zukommen zu lassen. Ackermann beschrieb die Bedingungen im Lager, die Kleidung, das Essen. Das Stück Brot wurde noch durch die Kapos dezimiert, so dass sie nur etwa die Hälfte bis 2/3 des Anteils bekamen. Der Hunger wurde von Tag zu Tag schlimmer. Außerdem – das betonte Ackermann besonders – sah man täglich Berge von Leichen. Jeden Tag wurden die Leichen draußen gesammelt und mit Karren fortgebracht. Ackermann hatte immer die Leichen des Frauenlagers im Blickfeld.
Nach der obligatorischen Pause fragte David Ackermann, wie ausführlich er berichten solle, denn er könne noch mehr erzählen und erinnere sich gut.
Nach einer Woche sei er von dem Vater getrennt worden; dies habe der Vater verhindern wollen, weil er von einem Transport von Jugendlichen nach Auschwitz wusste. Jedoch vergeblich. Ohne seinen Vater musste er in die Dusche, bekam jedoch bessere Kleidung, neue Holzschuhe und etwas Proviant. In normalen Waggons kamen sie in ein Lager bei Stolp für ein Reparaturwerk der Reichsbahn. Dann jedoch mussten sie – die Front kam näher – zurück nach Stutthof, wo er seinen Vater oder andere Bekannte nicht wiederfand. Nach Aufenthalt in einem weiteren Außenlager kam er wieder nach Stutthof, wo sie in einer leeren Baracke des Frauenlagers leben mussten. Die Frauen aus dieser Baracke waren an Typhus gestorben und nun erkrankten auch die Männer im April 1945. Sein Glück war, dass ein Freund nicht erkrankte und ihn mit Wasser versorgte. Das Wasser musste der Freund von außerhalb holen, da es in der Baracke selbst kein Wasser gab. Auf die Nachfrage der Richterin nach einer ärztlichen Versorgung bekundete Ackermann, dass es keine gab. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln war minimal. Als Typhuskranker konnte er ohnehin nichts essen. Es starben, so erinnert es Ackermann, mehr als die Hälfte der Häftlinge in der Baracke. Er beobachtete, dass gerade die körperlich stärkeren starben (zum Beispiel ein Kapo aus Stolp, der kräftig – wie ein Boxer- war), wogegen er und sein Freund, die kaum gehen konnten vor Schwäche, überlebten.
Schließlich erging der Befehl, die Baracken zu verlassen, mit der Drohung verbunden, die Zurückbleibenden mit dem Gebäude zu verbrennen. Sein Freund war so geschwächt, dass er erklärte, er wolle lieber im Feuer sterben, aber D. Ackermann gelang es, den Freund heraus zu tragen. Die Richterin frage nun nach Mutter und Vater. Die Mutter sei einen Tag vor der Räumung gestorben; eine Schwester wurde von der roten Armee befreit; der Vater starb schon früher, wie Ackermann bei Besuchen im Archiv der Gedenkstätte herausfand. Er äußerte sein Befremden darüber, dass sowohl die Krankheit, der Todestag und die Art der Bestattung durch die Deutschen in Dokumenten festgehalten wurden.
Aufgrund der knappen Zeit kündigte Meier-Göring an, nur noch zwei Fragen zu stellen. Zuerst fragte sie nach den Leichen aus dem Frauenlager. Jeden Tag lagen nach Ackermanns Erinnerung 20 bis 30 Frauenleichen da, frühmorgens, nackt, die dann mit Karren durch weibliche Häftlinge abgeholt wurden. Ackermann betonte an dieser Stelle, dass er in etwa 40 Meter Entfernung einen Turm sah, auf dem ein Wächter stand; dieser habe bestimmt auch die Leichenberge sehen können. Abschließend stellte die Richterin die Frage, wie er überlebte. David Ackermann berichtete von einem Marsch durch dichten Schnee, bei dem erschossen wurde, wer nicht weitergehen konnte. Er und sein Freund wurden sich klar, dass sie keine Pause machen durften, denn dann wären sie nie wieder aufgestanden. Dann kamen sie auf ein Schiff, in dem es sehr eng war und das etwa 350 Häftlinge in einem Raum fasste. Es starben Häftlinge wegen der Enge und weil es fünf Tage kein Wasser gab. Ihn rettete ein Schlupfloch, in dem er unterkriechen konnte. In der folgenden Nacht verließ das Wachpersonal das Schiff und norwegische Mithäftlinge, die stärker waren, brachten die Schute zum Strand von Neustadt/Holstein. Aber dort wartete schon die SS. Sie mussten zuerst durch tiefes Wasser waten und im Wasser und auf dem weiteren Weg wurden Häftlinge erschossen. Er erinnert sich, wie sie auf dem Fußballplatz der Kaserne gesammelt wurden. Nur etwa 120 von über 300 hatten überlebt. Er wurde später ins Krankenhaus Neustadt gebracht und gesund gepflegt. Er habe nur noch zwischen 25 und 27 kg gewogen.
Abschließend erklärte Ackermann noch, dass er sich gut erinnern könne und nur einen kurzen Teil erzählt habe. Er könne wegen der Übertragungstechnik den Angeklagten nicht sehen: Aber auch wenn er ihn sehen könnte, würde er ihn nicht erkennen. Denn die Häftlinge durften keine SS-Leute, die ständig Gewehre mit sich führten, ansehen.
Die Richterin Meier-Göring fragte nun, ob es noch Fragen an den Zeugen gebe. Rechtsanwältin Siegrot bat darum, ihren Zeugen befragen zu dürfen und an einem späteren Verhandlungstag eine zusätzliche Befragung von ½ Stunde einzuplanen. Dies wird vorbereitet.
Der Prozesstag fand unter schwierigen Bedingungen statt. Es war wenig Presse da.