Rede von Esther Bejarano, Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in der BRD e.V., anlässlich der Generalversammlung des Internationalen Auschwitz-Komitees vom 28.-31. August 2017 in Oswiecim/Auschwitz
(es gilt das gesprochene Wort)
Lieber Roman Kent, liebe Freundinnen und Freunde,
das Internationale Auschwitz-Komitee, so sagte es gerade Vizepräsident Marian Turski, ist stark durch die Verbindung institutioneller und ehrenamtlicher Mitgliedsverbände. Wir gehören zur Gruppe der ehrenamtlich und unabhängig arbeitenden Mitglieder.
Unser Komitee haben wir erst im Jahre 1986 gegründet. Hans Frankenthal, Elsa Werner, Peter Gingold und viele andere waren dabei. Seit 31 Jahren bin ich die Vorsitzende. Es war unsere gemeinsame Lebenserfahrung, die uns veranlasste, unsere neue Organisation nicht nur für ehemalige Auschwitz-Häftlinge und für Angehörige der Ermordeten, sondern auch für Personen und Vereinigungen zu öffnen, die sich dem Vermächtnis der Häftlinge und der Toten von Auschwitz verpflichtet fühlten.
Über das heute medial so oft zitierte Ende der Zeitzeugenära wurde damals noch nicht gesprochen. Neu war, dass sich eine Häftlingsorganisation auch für die Nachgeborenen öffnete, dass nicht nur für den Ausbau der Mahn- und Gedenkstätte Auschwitz gekämpft wurde und die Forschung zu und Erinnerung an viele andere Orte von NS-Verbrechen mit initiiert wurde, sondern dass sich auch in das aktuelle Tagesgeschehen eingemischt wurde.
Im Statut festgelegter Zweck unserer Organisation ist seitdem:
Aufklärung über das Vermächtnis der in Auschwitz Ermordeten durch Förderung der Erwachsenenbildung, der Völkerverständigung und der Jugendbildung,
Aufklärung der Verbrechen des Faschismus und der Ursachen des Faschismus, Bekämpfung der menschenfeindlichen Ideologie und Praxis des Faschismus und die Verteidigung demokratischer Rechte und Freiheiten der Menschen.
Erreicht werden soll das
durch Bildungsmaßnahmen wie Seminare und Diskussionsveranstaltungen
Erklärungen und Stellungnahmen und andere (herkömmliche) Formen der Aufklärung und des Gedenkens.
Und dieser Auftrag erklärt, warum wir uns einmischen in die Kämpfe und Auseinandersetzungen unserer Zeit. Und warum wir viel zu tun haben.
Wir arbeiten hart.
Wir sind manchmal unbequem.
Zum Beispiel, als in Hamburg der G20-Gipfel stattfand und wir einerseits den amerikanischen Präsidenten Trump nach seinen rassistischen Äußerungen kritisierten, andererseits aber auch faire Behandlung der protestierenden Gipfelgegner einforderten.
Zum Beispiel in Wolfsburg, wo wir einer Kompromisslösung bei der teilweisen Verlagerung von Barackenfundamenten im ehemaligen Zwangsarbeiterlager Laagberg, einer Außenstelle des KZ Neuengamme, nicht zustimmen.
Wir sind unabhängig.
Und manche, die aus unseren Reihen kommen, sind in recht unterschiedlichen Organisationen und Initiativen aktiv.
Ich und viele andere meiner MItstreiter*innen, die deutsche Konzentrationslager überlebten oder vor den Nationalsozialisten fliehen mussten, besuchen seit Jahrzehnten Schulen. Wir sprechen auf unzähligen Veranstaltungen mit Jungen und oft auch Älteren. Ich selbst lese aus meinen Büchern und singe, zunächst mit der Gruppe Coincidence und meinen Kindern, jetzt mit meinem Sohn Joram und den Rappern von Microphone Mafia. Wir sind ständig unterwegs, auch mal in Frankreich, Italien und Übersee.
Durch Grußworte, Erklärungen und Aufrufe stärken wir Initiativen, die sich auch für die Ziele unseres Statutes einsetzen, wir machen ihnen Mut, arbeiten mit ihnen in zahlreichen Bündnissen – in den Kämpfen unserer Zeit.
Wir melden uns zu Wort, wenn …
- … das Asylrecht wieder verschärft wird,
- wir unterstützen die Anliegen der Roma und Sinti und anderer verfolgter Minderheiten,
- wir unterstützen die Forderungen nach Ghettorenten (das war immer auch ein besonderes Anliegen unserer verstorbenen Freundin Elsa Werner),
- wir unterstützen den Schutz der Geflüchteten,
- wir beobachten die aktuellen Auschwitz-Prozesse,
- wir erinnern an die Bücherverbrennungen 1933.
- Wir organisieren Reisen in die Gedenkstätte KZ Auschwitz.
- Und wir unterstützen die Forderung nach einem neuen Gedenkort für die Rosa-Winkel-Häftlinge in Auschwitz.
- Wir setzen uns ein für die Schaffung von Gedenkorten, zum Beispiel für die würdige Gestaltung des neuen Gedenkorts Hannoverscher Bahnhof in Hamburg, dem Deportationsbahnhof in der Hafencity. Wegbereitend dafür war eine von uns in den Jahren 2006 bis 2008 initiierte Aktion: Mit einem Bündnis von Initiativen und Gewerkschaften haben wir den „Zug der Erinnerung“ nach Hamburg geholt, dazu Ausstellungen, Lesungen und Diskussionsrunden organisiert. Um die Dimension zu zeigen: Von Ostermontag, dem 24. März 2008, allein im Hamburger Hauptbahnhof und an den folgenden fünf Tagen bis 29. März im Altonaer Bahnhof besuchten etwa 20.000 Menschen den Zug und auch unsere eigens dafür gestaltete Ausstellung.
- Wir veranstalten jährlich Gedenkfeiern zum Novemberprogrom und zum 27. Januar, zur Befreiung von Auschwitz, die regelmäßig auch von hunderten jungen Menschen besucht werden.
Schon vor 20 Jahren, 1997, hatten Peter Gingold und ich einen Appell an die Jugend gerichtet, denn damals wie heute bin ich in großer Sorge um den Zustand der Welt.
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir arbeiten so hart, wir sind hier,
weil wir dem Unrecht und der Unvernunft der Regierenden nicht tatenlos zuschauen wollen.
Weil wir eine andere Welt wollen:
eine Welt ohne Kriege, ohne Waffenhandel, ohne Hunger, ohne Ausbeutung, für verantwortlichen Umgang mit unserem Planeten Erde zum Wohle kommender Generationen.
Weil wir nicht tatenlos zusehen wollen, wenn durch Ausbeutung von Mensch und Natur die letzten Ressourcen im Klimawandel geopfert werden.
Weil wir nicht zusehen wollen, dass mit Waffenhandel viel Geld verdient wird, dass durch Kriege und Verwüstung ganze Länder unbewohnbar und Millionen Menschen heimatlos werden.
Weil wir nicht zusehen wollen, dass im Mittelmeer tausende Flüchtende ertrinken, dass Geflüchtete ins Ungewisse abgeschoben werden.
Wir sind ein Teil der Bewegung, die sagt: eine bessere Welt ist möglich.
Wir, eine Vereinigung der Überlebenden der Konzentrationslager, ihrer Angehörigen, ihrer Freundinnen und Freunde, haben uns zur Verteidigung demokratischer Rechte und Freiheiten der Menschen verpflichtet. Aber wir brauchen Hilfe! Wir brauchen eure Hilfe!
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Ereignisse der letzten Zeit lassen mir keine Ruhe. Ich kann nicht anders: ich muss laut aufschreien. Es ist Zeit für einen Aufschrei von uns allen, einen unüberhörbaren, lauten Aufschrei, der bis in den letzten Winkel unseres Landes und der ganzen Welt widerhallt. Es ist unvorstellbar, dass wir 72 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Faschismus wieder so viele Opfer beklagen müssen. Opfer der Barbarei, der menschenverachtenden Ideologie durch Terror, Faschismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Ausländerhass.
Ich trauere um die Opfer in unserem Land, verursacht durch den NSU und andere Neonazis, meine Trauer gilt den Opfern der Anschläge von Paris, von Ankara, von Beirut, den Opfern des Anschlags auf das russische Flugzeug, den Opfern der Anschläge von Berlin, London und Manchester und neuer Terroranschläge vielerorts. Ich trauere um die Toten der Kriege im Nahen Osten. Ich trauere um die Menschen, die auf der gefährlichen Flucht vor den Kriegen in ihrer Heimat sterben, weil ein Teil Europas sich abschottet.
Wir beobachten mit großer Sorge den Rechtsruck in Europa, der sich im Isolationismus und im Aufschwung rechtspopulistischer Parteien äußert und die politischen Veränderungen in Ungarn, Polen, England und der Türkei.
Zuhause bei uns in der Bundesrepublik Deutschland haben wir schon genug zu tun mit den neuen und den alten Rechten, mit der NPD, mit der neueren AfD. Mit den Angriffen auf Geflüchtete, auf Andersdenkende.
Nie wieder sollte die Menschheit durch Kriege bedroht werden.
Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dass die Erfahrung meiner Generation in Vergessenheit gerät. Dann wären alle Opfer des Faschismus und des Krieges, alles, was wir erlitten haben, umsonst gewesen.
Wir wünschen uns, dass Gleichgesinnte, und ganz besonders die jungen Menschen, weil es ja so bitter nötig ist, auch in Zukunft Widerstand leisten, wie damals die Widerstandskämpfer, die für ein Leben in Frieden und Freiheit für alle Menschen auf dieser Welt eintraten.
Hier bei uns, in Europa und überall in der Welt. Die Egoisten und die Rassisten dürfen nicht Oberhand bekommen.
Wir stehen an der Seite der Menschen, die für eine Welt des Friedens, der globalen Gerechtigkeit und der grenzenlosen Solidarität eintreten!
Unsere Alternative für eine bessere, gerechtere Welt ist:
Zeigen wir Menschlichkeit, helfen wir den vor Kriegen, vor Verfolgung und Unterdrückung Flüchtenden, solidarisch gegen den Hass.
Wir alle müssen aufstehen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiziganismus.
Wir alle müssen uns gemeinsam gegen die Neonazis und die rechten Populisten wehren, damit sie in Europa nicht die Oberhand gewinnen.
Wir alle, gemeinsam!