Die Richterin kündigte an, dass es dem Angeklagten heute nicht so gut gehe. Seine Befragung hielt er gut durch.
Der Faden aus dem letzten Verhandlungstag wurde wieder aufgenommen. Bruno D. sollte erläutern, wie er aus Stettin in den Wachdienst im KZ Stutthof kam. Er habe sich vorgestellt, zur Bewachung von „Arbeitseinsätzen“ kommandiert zu werden. Bei der Abkommandierung aus Stettin wurden Bäcker und Köche zu anderen Diensten herausgezogen, was aber gleich wieder rückgängig gemacht wurde. Alle – nämlich etwa 400 Mann – wurden in das KZ Stutthof geschickt. Es waren junge Wehrpflichtige, aber auch durch Verwundungen nicht mehr frontverwendungsfähige Ältere. Nach ein bis zwei Tagen „Ruhe“ wurden sie zum Wachdienst in der Postenkette „außen“ geschickt. Auf Nachfrage wurde als Zeitpunkt Anfang Juni geschätzt. Die Richterin fragte nach Details der Unterbringung und Kleidung. Sie waren laut Bruno D. mit zehn Mann in einem Raum, insgesamt in vier Baracken. Die Bekleidung blieb die alte, die Uniform der Landesschützen („feldgrau“). Die Richterin wollte nun wissen, welche Befehle und Informationen er bekam. Die Aufgabe, so Bruno D., sei „Aufpassen, dass niemand durchgeht“ und „dass da Ruhe bleibt“. Was er sich dabei gedacht habe, wisse er nicht mehr. Der Name des befehlenden Offiziers sei ihm nicht mehr bekannt, auch könne er sich nicht erinnern, in den Dienst eingeführt worden zu sein. Bei einem Dienst wurde ihm übel, mit Diphtherieverdacht wurde er für sechs Wochen in Quarantäne ins Lazarett geschickt. Am 8.8.1944 war er wieder im Dienst (diesen Tag gibt das Dokument zur Ausgabe der SS-Kleidung an) und bekam SS-Uniform wie auch schon die mit ihm Abkommandierten. Die Richterin fragte nach, wie man SS-Mann wurde und was er dabei empfand. „Mein Wille zählte nicht, es war Befehl“, „Warum sollte ich noch fragen?“, erklärte Bruno D. Gewollt habe er aber nicht. Er habe ein Jacke bekommen, aber ohne Totenkopf-Abzeichen, es sei ein Zeichen mit einem doppelten Hakenkreuz drauf gewesen (also vermutlich die SS-Runen – so unsere Spekulation in der Prozesspause). Bruno D. holte nun etwas weiter aus: Es wurde gemunkelt, sie seien nach Stutthof gekommen, „um die SS abzulösen“. Die SS ablösen, um beim Putsch/„Attentat“ vom 20. Juli mitzuhelfen! Doch in Wirklichkeit mussten sie die SS ablösen, die frontverwendungsfähig war. Gefragt zum Kriegsverlauf, behauptete Bruno D., er sei überzeugt gewesen, den Krieg zu verlieren. Aber darüber, über „Politik“ zu reden, habe man sich nicht erlauben können. Bruno D. sollte nun auf Nachfrage seinen Dienst erläutern. Beim Dienst am Zaun (kleine Postenkette) habe „man“ („man“ sagte er nun dauernd) am Zaun aufpassen, beobachten müssen, dass sich niemand nähert. Was dann zu tun gewesen sei, habe ihm niemand gesagt. Diese kaum glaubwürdige Auskunft ergänzte Bruno D.: vielleicht sei seine Aufgabe im Fall einer Annäherung an den Zaun „Alarm machen“. Geschossen habe er nicht, was er recht kurios erklärte: „Wenn wir geschossen hätten, hätte keiner gewusst, wo der Schuss herkommt“. Sie hätten den Posten nicht verlassen dürfen, aber auch keine Mittel zum Alarmgeben gehabt. Auf Nachfrage erwidert er, dass sich niemand dem Zaun genähert hätte. Die Richterin fragte nun nach den Toten. Er habe vom Wachturm Tote gesehen, darüber mit niemand geredet. Wer das sei, darüber sei nur „gemunkelt“ worden. Es sei erzählt worden, dass da nicht nur Strafgefangene, sondern auch Politische und Juden waren. Auf die Frage der Richterin, ob auch „gemunkelt“ wurde, was mit denen gemacht wurde, antwortet Bruno D. nach langer Pause: „Ich kann mich nicht erinnern.“
Nun wurde eine Pause von 25 Minuten gemacht. Die Richterin versuchte nun auszuleuchten, wie Bruno D.s Wahrnehmungen vom Wachturm aus war. Bruno D. waren diese Fragen sichtlich unangenehm und nur durch Nachbohren berichtete er von den Details, die er offenbar in den zwei Vernehmungen in den 70ern und 80ern detaillierter erzählt hatte. Seine Auskünfte habe ich im Folgenden zusammengefasst: Bruno D stand, so sagte er, vielleicht fünf Mal auf dem Turm beim Krematorium. Er habe gewusst, dass dort das Krematorium und die Gaskammer (die zuerst zur Entlausung gebaut war, glaube er) war. Denn bei Gesprächen der „Kameraden“ „hat man mal was mitbekommen“. An den Gesprächen habe er sich aber nicht beteiligt. Er habe auf dem Turm gehofft „Hoffentlich passiert hier heute nichts“. Die Richterin präzisierte diese Aussage und fragte, ob er damit meine, dass er gehofft habe, dass während seiner Wachtätigkeit auf dem Turm kein Gas eingeleitet werde. Bruno D. bejahte dies. Einmal seien „Leute“, ohne dass sie sich gewehrt hätten, in die Gaskammer geführt, die Türen verschlossen worden und dann habe er ein Geschrei und Poltern gehört, nur einige Minuten lang. Er habe aber keine Vorstellung gehabt, was da passiert und nicht gewusst, warum die Schreie aufhörten. Darauf erwiderte die Richterin: „Weil die Menschen ermordet worden sind.“ Bruno D. erklärte, dass ein anderes Mal Häftlinge einzeln in ein paar Minuten Abstand von Männern in weißen Kitteln in das Krematorium geführt wurden und nicht wieder heraus kamen (gemeint ist hier die Ermordung durch Genickschüsse im Krematorium, wobei die SS zur Tarnung weiße Kittel trug). Die Leute habe er aber nicht unterscheiden können, sie trugen gestreifte Kleidung, waren kahlgeschoren, so dass er nicht wisse, ob es Männer oder Frauen waren. Es sei gesagt wurden, dass die Häftlinge für einen Arbeitseinsatz untersucht werden sollten. Er habe gesehen, dass sie freiwillig mitgegangen sind. Warum einer auf dem Dach der Gaskammer herumgelaufen sei, konnte er sich nicht erklären, erst heute sei ihm dessen Aufgabe klar. Er habe nicht gewusst, wie das Gas in die Gaskammer kam. Daraufhin fragte ihn die Richterin, ob er überhaupt gewusst habe, dass Gas in die Kammer kam. Bruno D. antwortete: „Sonst können sie ja keinen vergasen.“ Es sei ihm auch „in Erinnerung gekommen, dass ein Waggon für Vergasungen abgedichtet wurde“ (das bezieht sich auf eine zweite Phase der Gasmorde) – aber das habe er gar nicht gesehen und wisse nicht, wo der Waggon stand. Trotzdem behauptete Bruno D., er habe auch danach nicht gewusst, dass die Opfer vergast oder getötet wurden. Er habe sich aber Gedanken gemacht, aber habe „nicht zu 100 % sagen können, die werden dort vergast.“ Die Richterin nahm ihm dies nicht ab, worauf sich Bruno D. in eine Beobachterrolle zurückzog. Er wolle nichts „beschönigen oder verschweigen, er habe nichts getan und sei damit nicht einverstanden gewesen, aber: „Was konnte ich dagegen machen?“ Er habe alles in sich hinein gefressen und auch seinen Eltern nicht mitteilen können. Denen habe er nur geschrieben, wie es ihm gehe. Die Nachfrage der Richterin, dazu gehöre doch auch, was er beobachte, wehrte Bruno D. ab. Die Briefe wurden kontrolliert und man durfte so etwas nicht schreiben. Auf eine weitere Nachfrage der Richterin, nämlich ob Bruno D. sich nun an einen Waggon „erinnere“ oder ihn gar nicht gesehen habe, entzog sich Bruno D. Er wisse nur, dass im Lager viele Menschen „gestorben“ sind, aber nicht umgebracht wurden. Er sagte: „Man kann das auch … Ich will heute nichts mehr sagen.“ Die Richterin sagte: „Man kann das auch töten nennen, wollten Sie sagen.“ und brach die Vernehmung ab. Sie beendete daraufhin den Verhandlungstag. Am Montag wird die Befragung fortgeführt und ein erster Zeuge wird sprechen.