Bevor im Saal 300 die Verhandlung eröffnet wurde, gab es einen großen Presseauflauf. Prof. Nestler und andere Nebenklageanwälte, auch Ephraim Zuroff vom Wiesenthal-Center wurden interviewt. Außer 25 Presseleuten waren einige Angehörige zugelassen wie auch einige Leute, die ein ähnliches Anliegen wie die KZ-Gedenkstätte Neuengamme vorweisen konnten. Andrea vom Auschwitz-Komitee hat so Zutritt bekommen. Die Richterin erklärte einige Formalia: Sie bat wegen der Akustik um Ruhe, erklärte die Anwesenheit von Ärzt*innen und von Familienangehörigen von Bruno Johannes D und kündigte an, bei „Gefahr von Leib und Leben“ des Angeklagten die Öffentlichkeit wieder auszuschließen. Es erfolgt eine Tonbandaufzeichnung der Verhandlung wegen „herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung“ (die Beteiligten haben Mikro und Kopfhörer). Es waren rund ein Dutzend Nebenklagevertreter*innen dabei.
Dann wurde der Angeklagte im Rollstuhl von seiner Tochter herein gebracht. Eine Kamera und ein Fotograf waren noch zugelassen, daher hielt Bruno D einen Hefter vor sein Gesicht.
Der Staatsanwalt verlas die Anklage mit einigen Details zu den drei Mordkomplexen (Erschießungen im Krematorium, Gasmorde, Morde nach Selektion durch Nahrungsentzug und Verweigerung mediz. Hilfe). Die Details lasse ich hier weg.
Nun fragte die Richterin, ob er seine bei der Vernehmung getätigten Aussagen bestätigen könne – das wolle er. Für Bruno D sprach sein Anwalt Stefan Waterkamp. Bruno D wolle ab dem dritten Verhandlungstag auf Fragen antworten. Dann gab der Verteidiger ein „Opening Statement“ ab. Der Angeklagte sei nicht frontverwendungsfähiger Soldat gewesen und sein Landesschützenbataillon sei zum KZ überstellt worden. Er sei also nicht freiwillig in die SS eingetreten. Er sei auch kein „Anhänger des Systems“ gewesen. 1975 und 1982 sei er bei Ermittlungsverfahren vernommen worden und er habe ausgesagt. Dass er als „einfacher“ Wachmann nun angeklagt werde, sei ein Versuch der Justiz, ihre Versäumnisse wiedergutzumachen (ich bin nicht sicher, ob das wirklich wörtlich so kam). Niemand habe sich für Bruno D interessiert und nun sehe er sein ganzes Leben in Frage gestellt. Waterkamp griff die jetzige Rechtsprechung auf und warf der Anklage vor, die bisherige Rechtsprechung in diesem Prozess noch weiter auszudehnen. Waterkamp wirkt angesichts der renommierten Nebenklagevertreter*innen unbeholfen.
Die Richterin wollte nun die Verhandlung schließen, aber zwei Nebenklagevertreter gaben Statements ab. Im Namen meherer Mandanten erklärte Christoph Rückel, wie wichtig dieses Verfahren angesichts von Gaulands „Fliegenschiss“ oder den Morden in Halle sei. Cornelius Nestler ging kurz auf die juristische Argumentation des Verteidigers ein und betonte dann das Interesse seiner Mandantin Judit Meisel, USA. Sie erhoffe sich Antworten in diesem Verfahren. Meisels Enkel war aus den USA zum Verfahren angereist (siehe Presseberichte).
Dann wurde nach nur 75 Minuten Verhandlung der nächste Tag angekündigt – an diesem wird es eine Einführung zur Geschichte des KZ Stutthof geben.