Ansprache zur Verleihung des Herbert-Weichmann-Medaille der Jüdischen Gemeinde Hamburg an Elsa Werner am 13. September 2009
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Frau Lafrenz-Page, sehr geehrte Frau Feingold,
liebe Elsa Werner, lieber Herr Herzberg,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich freue mich hier heute als Mitglied des Auschwitz-Komitees die Laudatio für eine Frau halten zu können, die ich nun schon mehr als mein halbes Leben lang kenne und bewundere: Elsa Werner.

1992 lernte ich sie im Auschwitz-Komitee kennen und diese kettenrauchende Powerfrau, die mit damals 81 Jahren bei jeder Jahreshauptversammlung ihre Arbeit als Kassiererin mit dem Worten „die Kasse stimmt“ zusammenfasste, beeindruckte mich sofort. Dass sie damit aber nur Rudi Neumann imitierte, den inzwischen verstorbenen Revisor des Auschwitz-Komitees, und so die Erinnerung an ihn wachhalten wollte, begriff ich erst viele Jahre später.
Elsa Werner, geborene Gottwald, wurde als Kind einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters, der seine zwölfköpfige Familie als Werkmeister im Hamburger Hafen durchbrachte, am 15. Februar 1911 in Hamburg geboren. Noch heute bezeichnet sie ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde als großes Glück, denn die half der notleidenden Familie wo immer Hilfe gebraucht war. Einmal in der Woche waren die Kinder zu Gast bei jüdischen Familien, sie wurden in den Convent-Garten – heute steht dort das Springer-Hochhaus – eingeladen und jedes Jahr an Chanukka neu eingekleidet. Eine Erinnerung aus diesen Jahren hütet Elsa noch heute wie einen Schatz: Ein Foto der Gottwald-Kinder im Jahr 1922, gerade fein ausgestattet und herausgeputzt von der Henry-Jones-Loge. Sie schrieb später, dass es diese Jahre waren – die sie vielleicht nicht reich an materiellen Dingen, aber doch reich an Ideen – jüdisch‚ kulturell und auch politisch prägten Die Heine-Verse, die sie damals lernte, kann sie heute noch rezitieren.
1925 begann sie eine kaufmännische Ausbildung in einem Hamburger Kontor. Jetzt fing sie an sich politisch zu organisieren: in der sozialistischen Arbeiterjugend und kurz darauf im kommunistischen Jugendverband. Seit ihrem 14. Lebensjahr ist sie zudem aktive Gewerkschaftlerin. Vor dem Krieg im Zentralverband der Angestellten, nach dem Krieg in der DAG. Viele Jahre hat sie die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen im Personalrat vertreten, noch heute ist sie ver.di-Mitglied und erst kürzlich wurde sie mit der Herbert-Wehner-Medaille ausgezeichnet.
Nach Berlin zog sie der Arbeit wegen: Elsa war in der Datenverarbeitung tätig – als Hollerith-Locherin – man könnte sagen, sie war eine frühe Computer-Anwenderin. Auf den wollte sie aber später nicht mehr umsteigen: Sie schreibt Flugblätter, Kassenberichte, Briefe, offene Briefe an Bonner und Berliner Kanzler und Kanzlerinnen auch nach der Jahrtausendwende noch mit der Schreibmaschine und benutzt Kohlepapier als Durchschlag.
Elsa war 22, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. In späteren Jahren wurde der Vater mehrfach gedrängt sich von seiner jüdischen Frau zu trennen. Er wehrte sich aber tapfer dagegen und so konnte Elsas Mutter in Hamburg überleben. Für Elsa, ihre Brüder Bernhard und Heini und ihren Freundeskreis bedeutete das ab 1933 im Widerstand zu leben. „Wir waren alle Kommunisten“, sagt sie später. 1934 wurde sie verhaftet. „Vorbereitung zum Hochverrat“ lautete die Anklage, aber nach sechs Monaten Untersuchungshaft in den Berliner Gefängnissen Barnimstraße und Moabit wurde sie „aus Mangel an Beweisen“ freigelassen. Alle Freunde hatten geschwiegen, alle hatten die sich an die Empfehlungen des kleinen Leitfadens „Wie verhält sich der Proletarier vor Gericht“ gehalten. Unser Freund Günther Schwarberg hat die Akte über Elsas Inhaftierung viele Jahrzehnte später aufgespürt.
Später – im Oktober 1938 – traf Elsa noch ein weiterer Schicksalsschlag: Die polnische Regierung verweigerte den in Deutschland lebenden polnischen Juden die Verlängerung der Gültigkeit ihrer Pässe. Die Nazis reagierten mit Abschiebung der polnischen Juden, die gewaltsam über die Grenze bei Zhenschin (gesprochen: Spongschin) nach Polen gebracht wurden. Auch Elsas Lebensgefährte und späterer Ehemann Adolf Klein war von dieser so genannten „Polenaktion“ betroffen, wurde festgenommen und abgeschoben.
Elsa folgte ihrem Mann nach Polen: mit einem Visum für gerade mal sieben Tage. Das wenige Geld, das sie mitnehmen konnte, wurde ihr unterwegs auch noch gestohlen. Aber sie fand ihren Liebsten, lebte dort zunächst unter anderer Identität. Elsa und Adolf Klein heirateten dann nach jüdischem Ritus – die Heiratsurkunde, vom Rabbinat dem polnischen Standesamt übermittelt, ist wie durch ein Wunder erhalten geblieben. Später durften die Eheleute nicht in Warschau, ihrem ersten Zufluchtsort bleiben. Elsas Mann musste nach Tarnow, in seinen Geburtsort, zurückkehren. Das aber lag im damals sowjetischen Teil Polens. Elsa folgte ihm auch dorthin: An der Grenze aber halfen ihr nur Tränen der Verzweiflung, die den sowjetischen Grenzposten rührten: der wollte das junge Paar nicht trennen und ließ Elsa ohne Visum und gegen alle Vorschriften mit ihrem Mann nach Tarnow reisen. Sie schlug sich als Köchin und Arbeiterin in einer Papierfabrik für Blinde durch.
1941 aber, mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, gab es keine Möglichkeit zur Flucht mehr. 1942 wurde ihr Mann während eines Massakers ermordet. Elsa wurde nach Theresienstadt deportiert, wo sie auch befreit wurde. Kaum zurückgekehrt nach Deutschland, engagierte sie sich in der Jüdischen Gemeinde Hamburg und begann das, was ihr zweites Lebenswerk werden sollte: Ihre unermüdliche Arbeit für die Anerkennung und die finanzielle Entschädigung der NS-Opfer. „Wiedergutmachung kann es nicht geben“, sagt sie immer, aber es ist ihr bis heute ein Anliegen, dass die Bundesrepublik alle NS-Verfolgten anerkennt, eben auch die verfolgten Rom und Sinti, vergessene wie die Opfer der Euthanasie, Opfer von NS-Kriegsverbrechen wie in Distomo, Griechenland, in Civitella und Sant’Anna di Stazzema in Italien, in Oradour-sur-Glane in Frankreich.
Die Leistung Elsas vor allem in den frühen Jahren dieses Kampfes um Entschädigung kann nicht hoch genug bewertet werden. Treten doch ehemalige Täter den NS-Opfern in den Gerichtssälen und Behörden gegenüber. In zahllosen Begutachtungen, Gerichtsverhandlungen und ganz still und leise in den Schreibstuben deutscher Beamter sind so die Opfer ein zweites Mal gedemütigt worden. Aber sie hatten immer auch Menschen wie Elsa an ihrer Seite, die sie berieten, begleiteten, für sie kämpften, ihnen Gehör verschafften. Ihnen allen gebührt heute unser Dank!
Elsas Kampf um eine bessere, gerechtere Welt ging weiter: Beauftragt vom ersten – noch von den Alliierten eingesetzten Hamburger Nachkriegssenat – arbeitete sie für den Senator Franz Heidtgres im “Amt für Wiedergutmachung und Flüchtlingshilfe“. Bürgermeister Sieveking belehrte dann seinen Senator und auch gelegentlich dessen Assistentin Elsa in Sachen Verfahrensrichtlinien, denn die Problemlöserinnen, ihre Freundin Anita Sellenschloh war ebenfalls dort tätig, arbeiteten recht unkonventionell und unbürokratisch.
Als die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gegründet wurde, war Elsa dabei. Bis heute gehört sie dem Landesvorstand der VVN-BdA an. Als die Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm gegründet wurde, war sie dabei. Als Anfang der 1980er Jahre die Errichtung eines Mahnmals am Platz der Bücherverbrennung erstritten wurde, war sie selbstverständlich auch dabei, gemeinsam mit Esther Bejarano, Peggy Pamass, Abi Wallenstein und vielen anderen. 1986 gründete sie mit Esther Bejarano, Peter Gingold, Hans Frankenthal, Flora und Rudi Neumann und anderen Überlebenden und Freundinnen und Freunden das Auschwitz-Komitee in der BRD e. V. Und auch hier verfolgt sie das Ziel, durch Aufklärung, Bildung und Information ein würdiges Gedenken und Erinnern zu fördern, setzt sich ein für eine demokratische und menschenwürdige Gesellschaft, richtet sich gegen Neofaschismus, Rassismus, Antisemitismus und Militarismus. In der letzten Jahreshauptversammlung forderte sie von allen Mitgliedern des Auschwitz-Komitees einen noch intensiveren Einsatz gegen Rechte und Neofaschisten. Vor nunmehr elf Jahren war sie maßgeblich beteiligt an der Gründung der Hamburger Stiftung ”Hilfe für NS-Verfolgte“. Auch in diesem Rahmen kümmerte sich um tausende durch NS-Unrecht Verfolgte und deren Nachkommen, wurde ihre Anwältin in Beratungs- und Sprechstunden.
Und in jüngster Zeit ist auch ihrer und Steffi Wittenbergs Hartnäckigkeit zu verdanken, dass die Hamburger Arbeitsgruppe „11.000 Kinder/Deportationen“ den Zug der Erinnerung nach Hamburg holte. Diese Aufzählung muss unvollständig bleiben.
Aber da ist auch noch eine andere Elsa, die eine wundervolle Geschichtenerzählerin ist, gerne „jüdische“ Witze erzählt und das Lied von der Krummen Lanke in allen seinen Strophen vorträgt – bis heute. Die die Lieder und Gedichte aus ihrer Kindheit textsicher rezitieren kann – und einem netterweise auch immer gleich übersetzt. Elsa, die Heine, Brecht, Feuchtwanger liebt. Und dann sind da auch noch Elsas legendäre Doppelkopfrunden, obwohl sie wohl lieber Skat spielt, das hat sie nämlich von ihrem Vater gelernt.
Als Elsa sich auf ihrem Wochenend-Grundstück in der Nähe von Gorleben eigentlich einmal erholen wollte – auch ihrem Hund Schnubbelchen zuliebe die Waldesruhe suchte – musste sie aber schon wieder kämpfen: Sich wehren gegen die Atompolitik der Bundesrepublik. Später übereignete sie ihr kleines Häuschen da draußen im Wald von Gorleben den widerständigen Wendländern. Aber Elsa Werner sprach nie viel über sich selbst. Wir Jüngeren versuchten immer wieder sie zum Erzählen zu bringen, aber nur selten, meist in ihrer kleinen Küche im Hochhaus, während sie eine Zigarette in den Aschenbecher legte und die andere bereits anzündete, nur dann kann ich in den Genuss, eine Geschichte aus ihrem Leben zu hören.
Sie hat mir selber direkt nie erzählt, dass sie im KZ Theresienstadt inhaftiert war. Sie verweist immer nur auf diejenigen „die es ja noch viel schlimmer gehabt haben“. Bei Elsa geht es immer um die Anderen, die ihre Hilfe, ihre Solidarität brauchen. Wie ihre Zwillingsschwester Tuni, um die sie sich aufopferungsvoll kümmerte. Ihr eigenes Schicksal bleibt im Hintergrund, Ich habe mich oft gefragt, woher sie diese Kraft nimmt.
Was sie erzürnt, sind andere Dinge: dass Überlebenden aus den Konzentrationslagern und politisch Verfolgten trotz der großen Wohnungsnot nach dem Krieg nur acht Punkte auf ihrem Wohnungsberechtigungsschein gutgeschrieben wurden, ein entlassener Wehrmachtssoldat hingegen eine Gutschrift von 80 Punkten erhielt und damit erheblich bessere Chancen auf dem Wohnungsmarkt der Nachkriegszeit hatte. Was sie zornig macht, sind Aufzüge von Neonazis hier in unserer Stadt, in unserem Land, wenn die NPD und andere Neonazis mit einer Kundgebung ihren Hass auf die Straße tragen kann, wie gerade am vergangenen Freitag hier in Hamburg geschehen.
Elsa, immer politisch denkend und auch noch heute anpackend, immer ganz konkret, als sie von den rechtlichen Veränderungen im Punkto Ghettorenten hörte, sagte sie gleich: „Da ist noch so viel zu tun“. Neue Bündnisse müssen geschmiedet werden, Konferenzen organisiert usw., mindestens 16.000 Fälle neu aufgerollt werden.
Sie brachte mir viel über politisches Denken bei – auch, dass es andere Zeiten geben wird, in denen das, was heute aussichtslos erscheint, wieder möglich werden kann. Elsa, die träumende Realistin. „Große“ Worte sind ihr suspekt, Phrasen entlarvt sie.
Sie appelliert mit ihrem Lebenswerk vielmehr immer an ein Stückchen Mensch im Menschen, sagte sie uns vor einiger Zeit. Wir seien nun dran, die „Vernunft am Leben zu erhalten, die nächste, die übernächste Generation.“
Elsa, wann immer Du die Hoffnung auf eine gerechtere Welt in der Zukunft mit uns verbindest, ehrt mich das, ehrt uns das. Denn es sind Frauen wie Du, denen wir nacheifern und die uns mit ihrem Vorbild die Kraft geben, für das einzustehen, wofür Dein Lebensweg steht: Die Aufklärung der Verbrechen der Nationalsozialisten, der unermüdliche Kampf für eine gerechtere Welt. Das „Nie wieder Krieg — nie wieder Faschismus“.
Danke, Elsa Werner!
Wegen Erkrankung der Laudatorin Katharina Obens vorgetragen von Susanne Kondoch-Klockow vom Vorstand des Auschwitz-Komitees.