Helga Obens spricht zum Antikriegstag am 01.09.2021 vor dem Gewerkschaftshaus.
Liebe Freund*innen, liebe Kolleg*innen,
heute geht es um den Frieden, gegen Kriege. Eigentlich ist das ja die Daueraufgabe von uns allen, den Gewerkschafter*innen und allen Menschen hierzulande.
Frieden – da muss ich über Esther Bejarano sprechen, die große Persönlichkeit, die kleine Frau, die am 10. Juli 2021 in ihrem 97. Lebensjahr hier in Hamburg verstorben ist.
„Es geht nur gemeinsam!“
Das ist – das war – und bleibt – eine klare Ansage von ihr. Esther eben … Die sie immer und immer wiederholt hat. Hoffend, dass wir unsere Lektion gelernt haben. Dass wir
gemeinsam kämpfen – und die gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Kämpfe verbinden,
gemeinsam stehen gegen rechts, gegen Neonazis,
dass wir gemeinsam die Verantwortung übernehmen für den Planeten Erde und die Menschen, die drauf wohnen. Und Waffenhandel und Kriege ächten.
Esther Bejarano ist nicht mehr bei uns – diese Frau, die das KZ Auschwitz und das KZ Ravensbrück überlebt hat. Die bis zuletzt gekämpft hat für eine bessere, gerechtere Welt – eine Welt ohne Nazis.
Esther wollte singen, bis es keine Nazis mehr gibt. Esther eben … Wer nun aber meint, dieses Versprechen habe sie nicht halten können, kannte Esther nicht:
Denn: Esther Bejarano bleibt bei uns!
Esther, das ist für uns auch Peter Gingold, das ist auch Elsa Werner, auch Hans Frankenthal und Steffi Wittenberg und viele andere Überlebende der Shoah.
Wir haben ihnen zugehört. Jetzt müssen wir beweisen, ob wir sie verstanden haben, müssen ihre Arbeit fortsetzen. Das wird schwer werden – ohne ihre Klarheit, ihre Unerschütterlichkeit, ohne die Autorität der Überlebenden. Und es wartet viel Arbeit auf uns, für die wir den Mut und die Solidarität vieler, von euch allen, brauchen.
Esther war den Menschen zugewandt, eine charismatische kleine Frau mit großem Herzen und einem wunderbaren Lachen. Und sie wollte das Schweigen um die Shoah brechen, wollte den Auftrag erfüllen, den sie, wie andere Überlebende auch, von ihren Freund*innen in den KZ erhalten hatte: Stimme und Sprecherin zu sein für die Ermordeten. Zu berichten, was geschehen ist in den Konzentrations- und Vernichtungslagern.
Wir haben nicht gezählt, wie viele Schulen Esther Bejarano mit ihrer Gruppe Coincidence und später mit der Rap-Band Microphone Mafia besucht hat, wie viele Gespräche und Lesungen es waren. Sie nannte das „Impfung gegen rechts„, schon lange vor der Coronazeit. Und hat uns allen – und ganz besonders den Schüler*innen – die Hand gereicht mit ihrer „Zauberformel“:
„Ihr tragt keine Schuld an dem, was damals geschehen ist. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts von dieser Geschichte wissen wollt.“ Und oft fügte sie hinzu: „Was in den Gaskammern endete, begann mit Repression, Ausgrenzung, Rassismus.“ Das war dann der Türöffner für intensive und empathische Gespräche. Ein Weg aus Scham- und Schuldgefühlen, aus der Wortlosigkeit. Aber Esther forderte auch Verantwortung für das Hier und Heute ein.
Trotzdem müssen wir uns fragen: Sind die Debatten um Erinnerung – und Verantwortung – und Zukunft der vergangenen Jahrzehnte wirklich gründlich und ernsthaft genug geführt worden? Wir müssen nach Worten und Wegen aus der Sprachlosigkeit suchen, alle Menschen, Kinder und Jugendliche erreichen und berühren. Gegen die Gleichgültigkeit. Gegen das Wegsehen.
Und hier wird eben gewerkschaftliche Arbeit wichtig: Gewerkschaftliche Arbeit – das bedeutet (nicht nur) Kampf um Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen, Löhne und Gehälter, sondern um Lebens- und Ausbildungsbedingungen, Gerechtig-keit, Solidarität.
Gewerkschaftsarbeit ist eben keine Lobbyarbeit, sondern bedeutet, unsere Rechte zu kennen und dafür zu kämpfen. Und auch noch so kleine Erfolge, erstritten als Betriebsrätin gemeinsam mit Kolleg*innen, gehören für mich persönlich zu den besten Erinnerungen an meine 47 Berufsjahre.
Gewerkschaften müssen mitten in der Gesellschaft arbeiten, müssen dort zu finden sein. Esther Bejarano hat auch da beispielhaft gewirkt: Auf Anregung des DGB hat sie sich mit ihren Kindern mit der Rapgruppe Microphone Mafia von Kutlu Yurtseven und Rosario Pennino (Rossi) zusammengetan. Das erste Album „Per la Vita“ entstand. Seit 2009 tourte die Gruppe durchs Land, oft auf Einladung des DGB, und zeigte eindrucksvoll, wie Musik als Mittel zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit genutzt werden kann.
Was bleibt? Esther Bejarano hat uns allen einen Auftrag erteilt:
„Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht. Seid solidarisch! Helft einander! Achtet auf die Schwächsten! Bleibt mutig! Ich vertraue auf die Jugend, ich vertraue auf euch! Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“
Und fordert diese Solidarität, die konsequent keinen Rassismus, keinen Antisemitismus und Antiziganismus und keine Ausgrenzungen zulässt.
Für eine Welt des Friedens, der globalen Gerechtigkeit und der grenzenlosen Solidarität! Solidarisch mit den vor Kriegen, vor Verfolgung und Unterdrückung Flüchtenden, solidarisch gegen den Hass. Gemeinsam gegen alte und neue Nazis und rechte Populisten.