Plädoyer Verteidigung und letzte Worte des Angeklagten Bruno D.
Der verteidigende Anwalt Stefan Waterkamp begann sein Plädoyer mit der Aussage, die nationalsozialistischen Verbrechen seien unbegreiflich und unverzeihlich, auch die, die im KZ Stutthof begangen wurden. Was im Prozess gesagt worden sei, habe allen den Atem stocken lassen und die Berichte seien auch an Bruno D. „nicht spurlos vorübergegangen“. Er ging auf Versäumnisse der Justiz ein, es sei „eine Schande“, dass viele der wahren Mörder nicht vor Gericht gestellt worden seien. Waterkamp entgegnete dem Plädoyer des Staatsanwalt Mahnke, der darauf hingewiesen hatte, Mord verjähre nicht, damit, dass Mord aus „niederen Beweggründen“, auch Mord aus Antisemitismus doch verjähre. Deshalb konzentriere sich die Anklage auf die Mordmerkmale „Heimtücke“ und „Grausamkeit“.
Waterkamp ging im Folgenden auf die Veränderungen in der Rechtsprechung ein, insbesondere seit dem Prozess in Lüneburg gegen Gröning. Auch in diesem Urteil habe man die Tat eingegrenzt auf die Morde bei der sogenannten „Ungarn-Aktion“ vom 16. Mai 1944-11. Juli 1944. Gröning sei zwar für Beihilfe zum Mord verurteilt worden, aber nicht insgesamt für die Bedingungen im Lager verantwortlich gemacht worden. Da er Dienst mit der Waffe an der Rampe geleistet habe, sei er unmittelbar Teil der „Drohkulisse“ gewesen, die dazu geführt hat, Widerstand im Kern zu unterbinden. Gröning seien also eine konkrete Tat und konkrete Handlungen vorgeworfen worden. Waterkamp deutete dies als aktuelle juristische Signale, dass die bloße Mitgliedschaft in der Wachmannschaft eines KZ nicht als Begründung für die Beteiligung an Morden ausreichend sei. Bei den Vorwürfen gegen Bruno D. gebe es keinerlei Begrenzung der Tat, ihm werde Beihilfe zum Mord vorgeworfen unabhängig davon, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat auf dem Wachturm gestanden habe oder nicht. Im Prozess sei deshalb viel über den Befehl argumentiert worden, der besagte, die jüdischen Häftlinge zu ermorden. Ob Bruno D. diesen Befehl wirklich gekannt habe, hätte aber im Prozess nicht bewiesen werden können. Waterkant erklärte, es sei davon auszugehen, dass Bruno D. davon nicht wusste, da die Morde hätten geheim gehalten werden sollen.
Waterkamp ging im Anschluss auf die verschiedenen Arten der von der SS in Stutthof begangenen Morde ein: Tödliche Lebensbedingungen im KZ Stutthof, Morde in der Genickschussanlage, Morde in der Gaskammer. Waterkamp erklärte, es sei unzulässig, davon auszugehen, im ganzen KZ Stutthof in allen Baracken hätten lebensfeindliche Bedingungen geherrscht. Waterkamp bezog sich auf eine Aussage des Zeugen und Überlebenden Marek Dunin-Wasowicz, er hätte berichtet, dass Funktionshäftlinge geimpft wurden und sich Lebensmittel organisieren konnten. Dies war einer der seltenen Momente, in denen die Aussagen der Überlebenden, die im Prozess ausgesagt haben, im Verteidiger-Plädoyer eine Rolle spielten. Die Häftlingsgesellschaft sei insgesamt sehr heterogen gewesen, was Zugänge zu Lebensmitteln und die Unterbringung und Bedingungen anginge. Nur jüdische Häftlinge hätten insgesamt eine schlechtere Situation gehabt, weil sie beispielsweise keine Lebensmittelpakete empfangen konnten.
Waterkamp erklärte, es sei im Prozess nicht bewiesen worden, dass Bruno D. Kenntnis über die Morde in der Genickschussanlage gehabt habe. Der Angeklagte habe davon nichts gewusst und sei davon freizusprechen.
Anschließend umriss der Verteidiger kurz, beinahe beiläufig, den Ablauf des industriellen Massenmords im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und verglich in einem zynischen Exkurs Beschaffenheit und Größe der Gaskammern in Auschwitz und Stutthof. Der Verteidiger verglich, wie lange es gedauert habe, bis die Menschen, die in den Gaskammern der beiden Lager ermordet wurden, wirklich tot waren. Während es in Auschwitz 20 Minuten gedauert habe, seien es in Stutthof „nur“ drei Minuten gewesen. In Stutthof habe die SS die Menschen, die ermordet werden sollten, im Lager in den Baracken der jüdischen Häftlinge ausgewählt. Zu diesem Zeitpunkt hätten sie bereits von den Gaskammern gewusst und seien bei der Selektion davon ausgegangen, dass sie ermordet werden. Da die Menschen wussten, was sie erwartete, sei die Grausamkeit „nicht vergleichbar“. Das Mordmerkmal „Heimtücke“ sei deshalb „nicht gegeben“.
Von den genauen Bedingungen im Lager habe Bruno D. nichts gewusst, da die er das Lager nie betreten habe. Seinen Aussagen sei lediglich zu entnehmen, dass er sehen konnte, wie im Frauenlager die Frauen Appell stehen mussten, dass während der Epidemien viele Frauen gestorben sind, sowie eine einzige Erhängung. Ob er darüber hinaus z.B. Schläge und Gewalt hätte sehen können, sei nicht mehr ermittelbar.
Der verteidigende Anwalt führte weiter aus, Bruno D. habe den Befehl im KZ Stutthof Wachdienst zu leisten, nicht als verbrecherisch erkennen können. Der Angeklagte habe in seiner Jugend keine rechtstaatliche Gesellschaft kennen gelernt. Seine Erziehung sei auf „Raushalten“ ausgerichtet gewesen. Im Lager angekommen, hätte Bruno zwar sehen können, dass auch jüdische Menschen, unschuldige Menschen, eingesperrt und ermordet werden. Das habe er auch als verbrecherisch wahrnehmen können, aber nicht seine eigene Wachdiensttätigkeit. Die ganze Rechtsprechung seit über 70 Jahren bis heute zeige, dass es an der Mitschuld der Wachmannschaften Zweifel gebe. Waterkamp fragte daran anschließend: „Wie sollte das ein 18-Jähriger im Herbst 1944 erkennen?“ Bruno D. habe keinen Ausweg gesehen, sich zu entziehen. Versetzung sei zwar möglich gewesen, aber ob der Angeklagte davon wusste, könne nicht festgestellt werden. Während er in Stutthof war, habe es aus der 1. Kompanie keine Versetzungen gegeben, der Angeklagte habe also keine „Vorbilder“ gehabt. „So etwas wie Befehlsverweigerung“ habe es damals außerdem „einfach nicht“ gegeben. Der Angeklagte habe seine Teilnahme als alternativlos angesehen und nicht als eine Mitarbeit an den Verbrechen betrachtet.
Zum Tatkomplex in Neustadt erklärte der Verteidiger im Plädoyer, der Angeklagte habe ausgesagt, er habe die Häftlinge „bis in den Hafen begleitet“. Ob er am Tatort der Erschießungen war, ließe sich daraus nicht ableiten.
Waterkamp erörterte, die Bedeutung der Wachleute auf den Türmen im KZ Stutthof erscheine „sehr gering“, die SS im Lager und die Kapos hätten die direkte Drohkulisse geschaffen, den Wachleuten auf den Türmen hätten die Häftlinge keine Beachtung geschenkt.
Der Verteidiger plädierte für Jugendstrafrecht, da der Angeklagte sowohl als 17-Jähriger als auch später als 18-Jähriger „gewisse Merkmale der Unreife“ gezeigt habe. Die strenge Erziehung der Familie, später in der Wehrmacht sei er auf Befehlshörigkeit und Disziplin gedrillt worden, er sei es gewohnt gewesen, „Autoritäten zu gehorchen“, das habe sich bei der Arbeit im KZ fortgesetzt. Waterkamp betonte, die SS sei damals eine staatliche Organisation gewesen und dass die Wehrmacht mit ihr zusammenarbeitete. Er erklärte: Die Lager entsprachen der NS-Ideologie, die seit 1933 offizielle Staatsdoktrin waren. Das alles sorge dafür, dass der Zusammenhang zwischen seinem Wachdienst und den Leichen im Lager für Bruno nicht erkennbar gewesen sei. Nicht mal heute räume er das ein, wie hätte er es damals erkennen können?
Die Forderung der Verteidigung sei deshalb abschließend: Freispruch.
Wenn es doch zu einer Strafe komme, sei sie zur Bewährung auszusetzen, da der Angeklagte keine nationalsozialistische oder antisemitische Gesinnung gehabt habe. Er habe sich aufgrund seiner Erziehung „aus Ärger raushalten“ wollen.
Waterkamp ging auf das Plädoyer des Staatsanwalts Mahnke ein, der gesagt habe, das Urteil diene auch der Generalprävention. Weder für Neonazis noch für potenzielle Mitläufer, sei jedoch relevant, ob das Strafmaß auf zwei oder drei Jahre ausfallen würde. Der Justiz ginge es in diesem Prozess darum, ein Signal zu setzen: „Wir sind nun anders, wir haben gelernt“. Es dürfe aber nicht Teil der Verhandlung sein, das eigene Versagen der Justiz nun nach 75 Jahren mit einem hohen Strafmaß im Jugendstrafrecht auszugleichen.
Waterkamp betonte, der Angeklagte habe ausgesagt, die Gefangenen hätten ihm Leid getan. Er habe gewusst, dass die Juden unschuldig waren
Im Anschluss ging Waterkamp auf die von ihm angenommen Folgen der Strafe für den Angeklagten ein: Die Strafe würde im Strafvollzug für Erwachsene zu leisten sein. Er wäre 2 Jahre lang von seiner Familie getrennt. Das würde der Angeklagte wahrscheinlich nicht überleben. Es sei aber ein Grundsatz des Rechtstaates, dass Verurteilte eine Chance hätten, zu Lebzeiten das Gefängnis wieder zu verlassen.
Für eine Bewährungsstrafe spreche außerdem, dass Bruno D. seit 1945 gezeigt habe, dass er ein „ordentliches Mitglied der Gesellschaft dieses Staates“ sei.
Waterkamp plädierte, das Gericht solle zudem davon absehen, dem Angeklagten die Kosten aufzuerlegen. Die Kosten seien nur deshalb sehr hoch, weil das Verfahren erst nach 75 Jahren geführt wurde, das sei nicht die Schuld des Angeklagten. Die Übernahme der Kosten würden ihn wirtschaftlich ruinieren, das käme einer zweiten Strafe gleich. Danach äußerte sich der Angeklagte. Er erklärte, dass er sich nach 75 Jahren vor Gericht verantworten müsse, habe ihn „viel Kraft gekostet“, ihm aber auch die Möglichkeit gegeben, sich damit auseinanderzusetzen. Er sagte, er wolle betonen, dass er sich nie freiwillig zur SS oder sonst einer Einheit gemeldet habe, „erst recht nicht in ein KZ“. Er sagte: Das „belastet mich heute noch sehr“. Das ganze Ausmaß der Grausamkeiten sei ihm erst jetzt im Prozess durch die Aussagen der Zeug*innen und Historiker klargeworden. Zum Abschluss äußerte er eine knappe Entschuldigung: „Heute möchte ich mich bei denen, die durch diese Hölle des Wahnsinns gegangen sind, und deren Angehörigen, entschuldigen – so etwas darf niemals wiederholt werden.“