Nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft am letzten Verhandlungstag, begannen heute die ersten Anwälte der Nebenklage mit ihren Plädoyers. Zunächst ergriff RA Rückel, der u.a. den Zeugen Henri Zajdenwerger vertritt, das Wort. Rückel zitierte zu Beginn Bertolt Brecht mit dem Worten: „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Anschließend erklärte er, dass die rechtliche Lage in diesem Prozess durch die Verfahren gegen John Ivan Demjanjuk und Oskar Gröning hinreichend geklärt sei. Beide waren als ehemalige Wachmänner in einem Vernichtungslager wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurden. Das Urteil gegen Gröning wurde schließlich vom BGH bestätigt.
Dann wandte sich Rückel dem KZ Stutthof zu. Er betonte, dass jedes KZ grausam gewesen sei und die Nazis in den Lagern extra Grausamkeiten erfunden haben. Die Perfidie der Strafen habe jede_r gesehen, egal ob vom Wachturm oder der Kommandantenvilla. Die Verbrechen hätten jedoch eine Vorgeschichte, seit 1918 habe es eine große Judenfeindschaft in der deutschen Bevölkerung gegeben. Als Beispiel nannte Rückel die Ausweisung der „Ostjuden“ aus Bayern im gleichen Jahr und antisemitische Hetzplakate der NSDAP in den 1920ern, die für alle sichtbar gewesen seien. In Danzig habe die NSDAP bereits 1933 eine große Vertretung im Stadtparlament gehabt. Dies, so Rückel, sei die Situation gewesen, in der Bruno D. aufgewachsen ist. Der Angeklagte sage die Unwahrheit, wenn er diese Verhältnisse heute vor Gericht leugnet. Die Angehörigen von Bruno D. schüttelten bei diesen Zeilen den Kopf und sahen sich ungläubig an. Der Angeklagte selbst folgte den Ausführungen des Anwalts sehr aufmerksam.
Rückel betonte, dass die Judenfeindschaft kollektiv getragen wurde. Bruno D. und seine Kameraden seien sich dessen bewusst gewesen und hätten den Antisemitismus jeden Tag gesehen. Auf die Rolle des Angeklagten in Stutthof eingehend, zitierte Rückel eine Passage aus dem Urteil im Majdanek-Prozess, wonach jeder Angeklagte notwendig für den Ablauf im Lager gewesen sei. Bruno D. habe durch seine Aussagen selbst bewiesen, wie er im KZ Stutthof mitgewirkt hat. Er habe gewusst, dass die Häftlinge hungerten und die Zäune unter Strom standen. Er habe nackte Leichen gesehen, wusste von der Gaskammer und dem Krematorium. Der Angeklagte sei eine Hilfe bei Morden gewesen, die es in diesem Ausmaß auf der Welt noch nicht gegeben habe. Der Befehl, auf den sich D. während der Verhandlung immer wieder berief, sei keine Entschuldigung, jeder Wachmann habe sich an der Entwürdigung von Menschen beteiligt.
Rückel verwies auch auf das gegenwärtige Erstarken rechter Ideologien in Form der AfD, die eine „deutsche Leitkultur“ fordere, eine multikulturelle Gesellschaft als Bedrohung ansehe und NS-Vokabular, wie dem Wort „Umvolkung“, zu neuer Popularität verhelfe. Das Urteil in diesem Verfahren sei somit auch ein Beitrag zur Verteidigung des Grundgesetzes. Mit Blick auf die Überlebenden erklärte Rückel, dass die Zeugen sehr froh gewesen seien vor Gericht aussagen zu dürfen. Sie hätten den Prozess aufmerksam verfolgt und den Opfern ein Gesicht gegeben. Abschließend wandte sich Rückel an D., von dem er eigentlich eine „altersweise“ Rückschau erwartet habe: Mit seinem letzten Wort könne der Angeklagte noch liefern, was die Überlebenden erwarten würden. Rückel schloss sich der Forderung des Staatsanwalts an, der am Tag zuvor drei Jahre Haft für Bruno D. gefordert hatte.
Als nächstes trug RA Niwinski, der insgesamt zwölf Stutthof-Überlebende vertritt, sein Plädoyer vor. Nach einer kurzen Vorstellung aller seiner Mandant_innen, unter denen sich drei jüdische Verfolgte befinden sowie neun polnische Widerstandskämpfer_innen, kritisierte Niwinski, dass sich das Plädoyer der Staatsanwaltschaft, deren Ausführungen zu D. jedoch treffend gewesen seien, auf Stutthof lediglich im Kontext der Judenvernichtung bezogen habe. Dabei seien zwischen 1939-1945 weniger als die Hälfte der Ermordeten jüdische Häftlinge gewesen. Niwinski betonte, dass auch polnische Häftlinge von den Nazis als „Untermenschen“ angesehen worden seien. Diesen Umstand hätten auch die Aussagen des Angeklagten belegt, der zwischen polnischen, russischen und jüdischen Häftlingen keinen Unterschied gemacht habe. Das Handeln D.’s habe sich unterschiedslos auf alle Häftlinge bezogen. Auch Niwinski schloss sich der Strafmaßforderung des Staatsanwalts an.
Nach einer 20-minütigen Pause setzte RA Lode, der u.a. die Zeugin Rosa Bloch vertritt, die Plädoyers der Nebenklage fort. Lode zitierte zunächst Oberstaatsanwalt Mahnke, der am Tag zuvor erklärt hatte, dass in diesem Verfahren nicht fehlender Widerstand bestraft werde. Daran anknüpfend wiederholte der Anwalt einige Äußerungen des Angeklagten, der auf Fragen der Richterin oftmals nicht mehr zu antworten wusste als: „Was hätte ich denn machen sollen?“, und wenn er nicht auf dem Wachturm gestanden hätte, dann hätte es jemand anders getan. Bruno D. habe immer wieder betont, dass er die Vorgänge im Lager abgelehnt habe. Lode betonte, dass sich D. mit dem NS-System erfolgreich arrangiert habe und fragte, ob er nicht doch etwas Widerstand hätte leisten können. Die „Maschinerie des Todes“ habe letztlich funktioniert, weil jedes „Zahnrädchen“ funktioniert habe. Auch die Wachmänner hätten dazu einen Beitrag geleistet. Lode erklärte, dass es schon ein kleiner Widerstand gewesen wäre, wenn der Wachmann einmal nicht so gut aufgepasst hätte und dadurch etwas „Sand ins Getriebe“ gekommen wäre. Die „Maschinerie“ habe aber so reibungslos funktioniert, weil alle mitgeholfen haben. Die Deutschen bezeichnete Lode als „Volk von Beihelfern“. Einer davon sei Bruno D. gewesen.
Zuletzt verlas RA Feld sein Plädoyer, das er mit den Fragen eröffnete, ob Stutthof ein polnisches KZ und ein Ort, an dem man nicht mitmachen durfte, gewesen sei. Er dankte dem Gericht für seinen empathischen Umgang mit den Zeugen und schloss sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft vollumfänglich an. Die Verbrechen in Stutthof seien durch die Mitwirkung des Angeklagten ermöglicht worden. Der Großteil des deutschen Volkes habe hinter der NS-Führung gestanden. Feld betonte, dass die SS aus der Gesellschaft kam und es sich bei den Tätern um unsere Väter und Großväter handele. Sie seien nicht „wie Heuschrecken vom Himmel“ gefallen und auch kein „Lumpenpack“, sondern normale und zuvor straffreie Leute gewesen. Sie seien so wie Bruno D. gewesen. Auf seine eingangs gestellten Fragen zurückkommend erklärte Feld, dass es sich bei Stutthof und anderen Lagern auf polnischem Territorium, natürlich nicht um polnische, sondern um deutsche Konzentrationslager gehandelt habe. Zu oft würde dieser Umstand noch verwechselt, ob bewusst oder unbewusst. Und an einem Ort, an dem staatliches Morden stattfindet, dürfe niemals mitgemacht werden. Abschließend brachte Feld seine Gewissheit zum Ausdruck, dass das Gericht ein Urteil finden werde, das den Überlebenden gerecht werde.